Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
individuelle Größe verloren, meinte George und bescheinigte ihm zu guter Letzt mangelnde Ehrfurcht. 22
Heute werden sowohl George als auch Spengler meist in direkter Nachbarschaft zur so genannten Konservativen Revolution gesehen. Versteht man darunter ganz allgemein »ein Ensemble von Orientierungsversuchen und Suchbewegungen in der Moderne«, 23 dann ist gegen eine solche Zuordnung nichts Grundsätzliches einzuwenden. Historisch gesehen war die Bewegung der Versuch, die Folgen der Französischen Revolution durch eine neue »Weltanschauung« zu überwinden. Kennzeichnend für die Konservative Revolution sei, so Armin Mohler, der den Begriff in den fünfziger Jahren etablierte, »dass in ihr Denken, Fühlen, Wollen nicht mehr reinlich geschieden werden können«. Statt mit Philosophen auf der einen, Dichtern auf der anderen Seite, wie noch zur Zeit der Romantik, habe man es jetzt mit einem neues Typus zu tun, einer Art »Dichter-Denker«. 24 Zu den bekanntesten Autoren zählten Hans Freyer, Ernst Jünger, Edgar Jung, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Niekisch, Carl Schmitt und Hans Zehrer. Sie alle lassen sich dem rechten Spektrum zuordnen und stehen in der Parteienlandschaft der Weimarer Republik zwischen Deutschnationalen und Nationalsozialisten. Da ihr Denken
sehr viel weniger Elemente des traditionellen Konservatismus enthalte, als das Schlagwort vermuten lasse, und in erster Linie um die Zukunft der Nation kreise, hat Stefan Breuer vorgeschlagen, den im Übrigen erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommenen Sammelbegriff »Konservative Revolution« durch den Sammelbegriff »neuer Nationalismus« zu ersetzen. 25 Ob damit in der Sache viel gewonnen ist oder nicht: Im Hinblick auf George erweist sich diese Präzisierung als nützlich.
Zunächst die Gemeinsamkeiten. Die grundsätzliche Affinität zwischen George und den Autoren der nationalen Rechten lässt sich im Kern auf zwei Aspekte reduzieren. Wie bei Nietzsche, wie bei Spengler stand auch im Zentrum des Weltbilds der Nationalrevolutionäre und Jungkonservativen der Gedanke der zyklischen Wiederkehr, mit dem sie sich von der linearen Zeitvorstellung und insbesondere von der liberalen Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts absetzten. »Aus einer ewe pfeilgeradem willen / Führ ich zum reigen reiss ich in den ring«, heißt die dichterische Entsprechung bei George. 26 Wenn es, wie Reinhart Koselleck gezeigt hat, ein Charakteristikum der Moderne ist, Geschichte als unumkehrbare Entwicklung zu denken, dann war George nicht weniger antimodernistisch und reaktionär als die Vorkämpfer der Konservativen Revolution. Zugleich huldigten die Rechten einer Ideologie der Tat, die auf rasche Entscheidung drängte. Hierin lag die eigentliche Verwandtschaft mit George begründet. Viele begrüßten in ihm den Dichter, der »mit dem Täter Hand in Hand« ging. 27
Militärische Kampfbünde wurden zu einem »wesentlichen Bestandteil der Innenpolitik« 28 und schossen wie Pilze aus dem Boden. »Wiking-Bund« und »Stahlhelm«, »Bund Oberland« und »Jungdeutscher Orden«, die Sturmabteilungen der NSDAP, aber auch der kommunistische »Rote Frontkämpferbund« und das sozialdemokratische »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold«, sie alle suchten politische Entscheidungen am parlamentarischen System vorbei mit Gewalt durchzusetzen. Es herrschte Ausnahmezustand, permanente Alarmbereitschaft. Der Dezisionismus rückte in den Mittelpunkt politischen
Philosophierens und wurde durch den Staatsrechtler Carl Schmitt zur maßgeblichen Denkfigur des Jahrzehnts. In der polemischen Natur dieses Denkens, das die Entscheidung um ihrer selbst willen propagierte, lag »der destruktive Kern antidemokratischer Geisteshaltung«. 29 Der Ruf nach der Tat, der Anfang der zwanziger Jahre überall laut wurde, konnte George nicht kalt lassen. Schließlich brütete er über den Zusammenhang von Wort und Tat, seit er zu dichten begonnen hatte. »Und jede eherne tat und nötige wende: / Nur unser-einer ist der sie vollende -« hatte er im Templer-Gedicht des Siebenten Rings proklamiert. 30 Wollte er diesen Anspruch aufrecht erhalten, durfte er sich jetzt nicht vereinnahmen lassen.
Die entscheidende Frage für die Jungrevolutionäre war die nach der Zukunft der Nation. Die Vorstellung von einer einheitlichen Nation aber – ob in alter oder neuer Gewandung – war George wesensfremd. Im August 1914 sei die Nation in ihrer durch alle Schichten getragenen Begeisterung für den großen und gerechten Krieg
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