Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
für einen Augenblick zwar über sich selbst hinausgewachsen. »Ein hauch / Des unbekannten eingefühls« habe Deutschland in jenen Augusttagen durchweht, dichtete er 1917. Das Volk habe »ein verworrnes ahnen« gespürt – »und sah sich gross in seiner not«. 31 Die Vorstellungen, die mit dem Aufbruch verbunden waren, seien allerdings diffus geblieben. Die Vertreter des neuen Nationalismus waren da ganz anderer Ansicht. Für sie kennzeichnete die Euphorie des August 1914 den Anfang der nationalen Erhebung, und deshalb suchten sie den Zustand der Mobilmachung über das Kriegsende hinaus zum Dauerzustand aller Deutschen zu erklären. Die schmachvolle Niederlage unterstrich in ihren Augen nur, dass die Begeisterung aufrechterhalten werden musste, die Opfer durften nicht vergeblich gewesen sein. Nicht die Niederlage vom November 1918, sondern die Aufbruchstimmung des August 1914 markierte für sie die Zäsur. Nach dieser Lesart befanden sich die Deutschen noch immer im Kriegszustand. Sie müssten den »Selbstreinigungsprozess« bis zur »Entscheidungsschlacht« vorantreiben, um mit der »Zertrümmerung einer morschen Welt« jene »Weltwende« einzuleiten, die in der Schaffung eines idealen
»Dritten Reiches« gipfeln werde. 32 So lauteten zwischen 1922 und 1932 die Parolen in den Schriften von Zehrer und Schmitt, Jung, Niekisch und Moeller van den Bruck, die allesamt aus der Bilderwelt Georges hätten stammen können. »Mögen Tausende, mögen Millionen sterben«, schrieb Friedrich Georg Jünger 1926, ihr Tod sei gerechtfertigt, wenn er nur dem Staat diene, »in den alle Unruhe und Sehnsucht des deutschen Menschen mündet und eingeht«. Das klang wie eine unfreiwillige Parodie auf Georges berüchtigte Zeilen vom heiligen Krieg, der »Zehntausende« raffen müsse.
Allerdings war am Ende die Nation mitnichten der Fetisch, auf den sich Georges Erwartungen richteten. Für ihn war der Krieg kein »Läuterungsbad für eine größere Zukunft«. 33 Nichts verdeutlicht die unterschiedliche Haltung besser als das in Kreisen der Nationalrevolutionäre geflügelte Wort »Wir mussten den Krieg verlieren, um die Nation zu gewinnen«. 34 Weil die Siegermächte die Wiederherstellung der Nation hintertrieben, galten sie als die Hauptverantwortlichen für die deutsche Misere. Diese Sicht teilten die Deutschen quer durch alle politischen Lager; »jeder Wiederaufstieg des deutschen Volkes führt nur über die Wiedergewinnung äußerer Macht«. 35
George sah das anders. Wer den Krieg ausschließlich unter nationalistischen Gesichtspunkten betrachte, so erläuterte er schon 1917, erfasse »nur die Außenseite, nicht den Sinn der Dinge«. 36 Die Kritik richtete sich gegen Friedrich Wolters, der den Krieg als »das größte deutsche Ereignis« bezeichnet und mit seinem Hurrapatriotismus wiederholt Georges Unmut auf sich gezogen hatte. Als im Herbst 1918 ein deutscher Sieg nicht mehr vorstellbar war und Wolters die Befürchtung äußerte, eine Kapitulation könne auch den Georgeschen Staat in Mitleidenschaft ziehen, kam es fast zum Eklat. Deutschland werde im Falle eines bedingungslosen Waffenstillstands auf der Grundlage des 14-Punkte-Programms von Präsident Wilson für immer »eingehen in die anglo-amerikanische welt«, schrieb er am 14. Oktober an George. Eine Einrichtung wie der geplante Völkerbund bedeute nichts anderes als das Ende alles Geistigen: »Das geistige reich hätte zum gegner die ganze welt.« In seiner Antwort beschwor
George den Freund, nicht zu vergessen, »dass ausserstaatliche dinge unter uns keinen streit hervorrufen dürften«. Dann stellte er mit der ihm eigenen Dialektik richtig: »Das Geistige Reich hatte und hat mit und ohne sieg die ganze welt zum feind.« Wolters verwechsle Ursache und Wirkung. 37
Als am 28. Juni 1919 der Friedensvertrag in Versailles unterzeichnet wurde – beim Eintreffen der Nachricht in Basel las er den Brief über die Deutschen aus dem Hyperion vor -, kam George im Gespräch mit Edith Landmann auf die für ihn nicht akzeptable Wolterssche Position zurück:
Wolters hat bis zuletzt geglaubt, der Krieg ginge uns etwas an. Nun hat er eingesehen, dass es nicht der Fall war. Auch dies musste sein, dass einige von uns, die dies glaubten, belehrt wurden. So auch jetzt, rechts oder links, es ist alles das Gleiche. Die einen sind uns so fremd und feind wie die anderen. Was jetzt unterlegen ist, ist nicht der Geist gegenüber der Form, nicht das Werdende gegenüber dem Gewordenen, sondern die
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