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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Jahresende die Anzeichen mehrten, dass George sich ihm entzog, erhielt Gundolf im Januar 1920 einen Brief von Morwitz, der das Problem unumwunden in seinen zahlreichen Auswirkungen beschrieb. Gundolf war dankbar für die Offenheit, und weil er wusste, dass George mitlas, holte er seinerseits zu einer ausführlichen Antwort aus. Der Konflikt ließ sich aus seiner Sicht in einem einzigen Satz zusammenfassen: »ich BIN wie ich nicht sein sollte...« 34 Gundolf suchte Zuflucht im Schreiben. In Dutzenden von Gedichten umkreiste er nur dies eine Thema: die immer größer werdende »Kluft zwischen meinem tiefsten Herzensurteil und dem Sehn des Meisters«. Verzweifelt wehrte er sich dagegen, in die Rolle des Verräters gedrängt zu werden.
    Um einen sichtbaren Beweis seiner unverbrüchlichen Treue zu liefern, hatte Gundolf zum Jahreswechsel 1918/19 ein Buch über George in Angriff genommen, das im Oktober 1920 mit dem Blätter-Signet bei Bondi erschien. Die Diskrepanz zwischen dem, was Gundolf noch glauben mochte, und den Mitteln, die er aufbot, seine eigenen Zweifel zu widerlegen, war nicht zu übersehen. Alle Superlative aufgreifend, die ihm im Zusammenhang mit George je in den Sinn gekommen waren, und sich selbst mit den Worten des Johannesevangeliums noch einmal übertrumpfend nannte Gundolf seinen Meister jetzt »den Weg, die Wahrheit und das Leben«. 35 Nur nahm ihm das keiner mehr ab – schon gar nicht derjenige, für den das Buch eigentlich gedacht war. Ulrich Raulff interpretierte den Monolith als »Abwehr durch Lob«, eine Charakterisierung, die Georges Eindruck bei der Lektüre entsprochen haben dürfte. 36

    Der Fall Elli erinnere ihn an den Fall Auguste Bußmann, schrieb George im März 1920 an Gundolfs Bruder: »Wissen Sie im Leben Brentanos: dessen Auguste machte fortwährend solche Sachen.« 37 Mit dem Hinweis auf die Bußmann-Affäre unterstrich George, dass er für das Debakel in erster Linie Elli und ihre schamlosen Machenschaften verantwortlich machte. In der Tat war Gundolf ihr in einem Maße verfallen, das George erschrecken musste. Sein Denken, Dichten und Träumen richtete sich immer ausschließlicher auf Ellis Schoß als den Mittelpunkt der Welt. Die fast täglichen Briefe, die er ihr schrieb, sobald sie getrennt waren – sie gehen in die Tausende -, umkreisen in immer neuen Wendungen das Thema der Lust in allen Variationen vom Infantilen bis zum Obszönen. 38 Da sich George solche Exzesse beim lieben Gundel wohl nicht recht vorzustellen vermochte, gab er die Schuld an der sexuellen Hörigkeit seines Lieblings dem Biest, das ihn dazu anstiftete.
    Im März 1920 kam Bewegung in die Sache. Gundolf sollte einen neu eingerichteten Lehrstuhl an der Berliner Universität übernehmen. Treibende Kraft war der Unterstaatssekretär im preußischen Kultusministerium und spätere Kultusminster Carl Heinrich Becker, der »Minister des Geistes«, wie ihn Willy Hellpach in seinem Nachruf im Februar 1933 nannte. 39 In der Philosophischen Fakultät hatte sich heftiger Widerstand formiert. »Gundelfinger ist nicht Forscher, sondern steht auch in seinen ›wissenschaftlichen‹ Büchern dem künstlerischen, dichterischen Schaffen viel näher als der wissenschaftlichen Arbeit«, urteilte der Germanistikpapst Gustav Roethe. »Auf Studierende, die zu strenger fester Arbeit heute besonders dringend erzogen werden müssen, kann ein Mann wie Gundelfinger nicht günstig wirken.« Gundolf wusste von dem Gerangel hinter den Kulissen und auch von den antisemitischen Stimmungen sowohl im Lehrkörper als auch unter den Studenten. »Im Ganzen ists wohl ein Kompromiss (wie alles was heut von der Regirung kommt) zwischen der alten Wissenschaft die noch in der fakultät bonzt, und dem neuen Wissenstum, das in der Jugend murrt«, schrieb er am 13. März an Erich von Kahler.

    Gundolf hatte das Berufungsschreiben am Tag zuvor in Wasserburg erhalten, wo er bei Fine Ferien machte, und auf der Stelle sowohl George als auch Elli unterrichtet. Er wisse noch nicht, ob er den Ruf annehmen solle, schrieb er an Elli. Im Brief an George hieß es, dass er weder Lust habe, nach Berlin zu gehen, noch irgendwelche Vorteile für die gemeinsame Sache darin erkennen könne. Gundolf fühlte sich in der Idylle von Heidelberg wohl und führte alle möglichen Argumente gegen Berlin ins Feld, sogar den Zustand seiner alten Mutter in Darmstadt. George warf ihm in seinem Antwortschreiben »pfründnerstimmung« vor. Er sprach sich deutlich für Berlin aus und

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