Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Scheiterns war für beide gleichermaßen tragisch. Der Streit drehte sich ja nicht so sehr um die Person der Elisabeth Salomon, obwohl Geoge alles tat, es so aussehen zu lassen und Elli als Flittchen zu diskreditieren. Diesmal ging es ums Ganze. Wenn der engste Vertraute nach der Pfeife einer Hure tanzte – so und nicht anders sah es George -, musste das für den gesamten Staat unübersehbare Konsequenzen haben. Was einzustürzen drohte, war ein Grundpfeiler der Georgeschen Ideologie. »Die weltzeit die wir kennen schuf der geist / Der immer mann ist: ehrt das weib im stoffe..« hatte er im Stern des Bundes geschrieben, »ordnend innen / Ist es am markte ungesetz und frevel.« 19 Frauen hatten im Staat nichts zu suchen.
Wegen der »Frauenfrage« war es in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder zu heftigen Diskussionen gekommen. Frauen wie Sabine Lepsius, Gertrud Simmel oder Marianne Weber hatten sich von George und Gundolf belehren lassen müssen, dass die Emanzipation, für die sie eintraten, nichts als »ein Versagen von seiten des Mannes« darstelle. Der Mann habe es versäumt, die Rolle der Frau am heimischen Herd klar und schön zu definieren und so »die Hälfte des Menschengeschlechtes in einer von ihm gesetzten männlichen Ordnung des ganzen Geschlechts sinnvoll zu binden«. Folgten die Frauen dem Emanzipationsunsinn, statt sich der allgemeinen Degeneration in den Weg zu stellen, würden sie am Ende »keinem großen Mann mehr das Leben schenken« können. 20 In Georges mann-männlicher Welt besteht »Weibes eigenstes geheimnis« in der Aufzucht gesunden tüchtigen Nachwuchses; die Frau soll dazu erzogen werden, so heißt es am Ende des Sterns , »Euren samen wert zu tragen«. 21 Seine eugenischen Bemühungen seien zwar nicht sehr populär, meinte George, aber eines Tages würden ihm die Frauen danken, »in
fünfzig Jahren werde ich vielleicht der Heros der Frauen sein«. 22 Heute erregen Verse wie die aus dem Stern – »Mit den frauen fremder ordnung / Sollt ihr nicht den leib beflecken / Harret! lasset pfau bei affe!« – im besten Fall Kopfschütteln. Schon 1939 bemerkte Adorno spöttisch, dass sie »in der Turnhalle eines rheinländischen Gymnasiums nicht übel sich ausgenommen hätten«. 23
In jungen Jahren war Gundolf mit Überzeugung und in vorderster Front an der Errichtung dieses frauenfeindlichen Weltbilds beteiligt gewesen. »Wir befeinden nicht die frau, sondern die ›moderne frau‹«, hatte er 1912 im Jahrbuch verlautbart, »die stückhafte, die fortschrittliche, die gottlos gewordene frau.« 24 Nun war er, wenn man so will, in seine eigene Falle getreten. Elli war zwar nicht gottlos – sie hielt sich streng an die jüdischen Feiertage -, aber ansonsten entsprach sie rundum dem Schreckbild der modernen, aufgeklärten Frau. Nach Ansicht Georges zählte sie ohne Zweifel zu »den frauen fremder ordnung«. Wenn Gundolf seinen Kopf in ihren Schoß steckte, musste er Abbitte leisten: entweder bei ihr oder hinterher bei George – wie sollte er das auf Dauer durchhalten?
George hatte stets betont, dass Frauen »Privatangelegenheit« seien, »das mag und muss jeder halten, wie es ihm geboten scheint«. Bevor einer sich zur Ehe entschloss, sollte er allerdings erst einmal etwas im Staat geleistet haben. »Wenn ihr das Eure getan habt, wenn ihr vierzig Jahre alt seid und es dann noch wollt, dann habe ich nichts dagegen.« 25 Im Fall Gundolf wollte er von solchen Grundsätzen allerdings nichts wissen. Zum einen liebte er ihn noch immer viel zu sehr, als dass er ihn hätte freigeben wollen. Zum andern drohte sein eigener Lebensrhythmus durch Elli empfindlich gestört zu werden. »Hoffentlich können wir das frühjahr zusammen wieder auf dem Schlossberg hausen«, hatte er im Januar 1919 beschwörend an Gundolf geschrieben. 26 Da ahnte er vielleicht schon, dass Elli bald nur ein paar Häuser weiter unterhalb einziehen würde. Die Einberufung der Freunde nach Heidelberg zu Pfingsten erscheint vor diesem Hintergrund in anderem Licht: als der dramatische Versuch, Gundolf daran zu erinnern, wo er hingehörte.
2
Im Sommer 1919 setzte George alle Hebel in Bewegung, das »Unglück Elli« zu verhindern. Dreieinhalb quälend lange Jahre dauerte der Kampf, der ihn an die Grenzen seiner physischen Belastbarkeit brachte. Er litt seit längerem an einer Entzündung der ableitenden Harnwege, die zu einem fortschreitenden Verlust der Nierenfunktion führte, und musste sich Anfang der zwanziger Jahre
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