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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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was er aus Bingen und Darmstadt kannte. »Du weisst gar nicht wie gross ich mir manchmal vorkomme, wenn ich durch die strassen der riesenstadt streife umgeben von dem endlosen tumult von dem namenlos anders seienden.« 60 Die Freunde Stahl und Rouge, die nicht verleugneten, ihn um diese Reise zu beneiden, wünschten über alles genauestens informiert zu werden. Georges ausführliche Berichte klingen kühl distanziert, ihre scheinbare Weltläufigkeit kann
die Unsicherheit des Verfassers aber nicht überdecken. Als sei dem Reisenden nicht ganz wohl dabei gewesen, als habe er geahnt, dass man ihm das Kosmopolitische zu Hause nicht abnehmen würde, schrieb er im Januar 1889 an Stahl, der in Gießen Jura studierte und den er vom Eintritt ins Militär abbringen wollte: »Gehe auf reisen wie ich und ich garantiere Dir, dass Du da in allen lebensumständen gewitzigt wirst.« 61 George selbst wurde 1892 als Ersatzreserve eingestuft und entging so dem Dienst. Die Abneigung gegen alles Militärische behielt er ein Leben lang bei; sobald irgendwo ein Regiment im Anmarsch war, bog er in eine Seitenstraße ab. 62
    Die Rolle des angehenden Weltmanns gefiel George ausnehmend gut. Betont lässig warf er den Freunden in Darmstadt und Gießen ein paar Stichworte zu, die ihr Staunen hervorrufen mussten, etwa wenn er schrieb, in seiner Pension verkehrten Dutzende interessanter Frauen aus allen Nationen, darunter sogar eine schwarze indische Prinzessin. Gleichzeitig gab er ihnen zu verstehen, dass er sich weder von einer indischen Prinzessin in London noch »von einer ganzen kette von Highlife-damen«, mit denen er im darauf folgenden Winter in Montreux Laientheater spielte, beeindrucken lasse. 63 Sobald der Homosexuelle Klarheit über sich erlangt habe, so Herman Bang in seinem Selbstbekenntnis von 1909, fühle er sich in Gesellschaft »vereinsamt und bedrängt … Er wird schweigsam, er lernt sich verstellen und muss heucheln«. 64
    In seinen Berichten an die Daheimgebliebenen bemühte sich George, den Eindruck zu erwecken, er sei in jeder Situation Herr der Lage. Alles, was er sah und erlebte, setzte er in unmittelbaren Bezug zu dem, was er kannte. Paradoxerweise half ihm gerade seine Herkunft aus der Provinz, sich nicht allzu sehr erschüttern zu lassen: Einem, der aus Bingen kommt, kann keiner so schnell etwas vormachen. Am Ende reduzierte sich Georges Welterfahrung auf die Erkenntnis, dass es in London oder am Genfer See auch nicht anders zuging als da, wo er herkam. Statt die Erfahrungen, die er auf seinen Reisen sammelte, deduktiv auf Bingener Maßstab zu verkleinern – was ihm wohl selbst ein bisschen provinziell vorgekommen wäre -, nahm er sie als Bestätigung
dafür, dass das Kosmopolitische die ihm von jeher gemäße Lebensform sei. Wer aus Bingen stamme, schrieb er Anfang 1889, sei nun einmal prädestiniert, sich draußen in der Welt wohlzufühlen. Die angesprochenen Freunde, der aus dem Starkenburgischen stammende Carl Rouge und Arthur Stahl aus Friedberg »ganz hinten im Hessischen«, werden nicht schlecht gestaunt haben, wie sich der große Reisende hier auf Kosten der Daheimgebliebenen zu emanzipieren suchte:
    Unser volk am rhein hat einfach deshalb mehr spirit und mehr verve weil es mehr mit der welt in berührung kam als das in Starkenburg u. Oberhessen. Der rhein war stets eine grosse verkehrstrasse und die grossen landrouten führten durch unser land. Bei allen invasionen haben die rheinhessen … auch profitiert und magst Du sagen was Du willst ich werde Dir haarklein beweisen, dass die französische herrschaft (so kurz sie auch gedauert hat) kein unwichtiges moment in der ausbildung unseres volksgeistes war. Berührung mit anderen völkern … ist das beste mittel zu ausrottung aller steifheit... 65
    George hatte vor allem Glück bei der Wahl seiner Vermieterinnen. Viele empfanden eine unverhohlene Sympathie für den stillen jungen Mann und halfen ihm, sich in der jeweiligen Stadt fürs Erste zu orientieren. George muss ein gutes Gespür für den richtigen Ton im Umgang mit Zimmerwirtinnen und Pensionsbetreiberinnen entwickelt haben, denn in vielen von ihnen weckte seine weiche, schüchterne Art offenbar mütterliche Gefühle. Caroline Mess, die Inhaberin der Pension in Stoke Newington, einem der gesichtslosen nördlichen Vororte Londons, wo George während seines England-Aufenthaltes wohnte, war von ihrem deutschen Gast geradezu entzückt. Eine Woche nach seiner Abreise schrieb sie ihm: »We miss you very much;

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