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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Strophe: »Die ganze Welt existiert nur, um in einem schönen Werk Gestalt anzunehmen.« 9 Das war in der Tat die Überzeugung der Symbolisten-Schule von Paris. Hier wurde Dichtung als ein Handwerk verstanden, das, wie jedes andere Handwerk auch, in der Lage war, sein Material – in diesem Fall das Wort – »aus seinem gemeinen alltäglichen kreis zu reissen und in eine leuchtende sfäre zu erheben«. 10
    Die Pariser Szene bot dem jungen George eines der aufregendsten geistigen Abenteuer seines Lebens und beeinflusste sein Selbstverständnis als Dichter nachhaltig. Gleichwohl – oder gerade weil die Eindrücke so überwältigend für ihn waren – empfand er vom ersten Tag an ein starkes Bedürfnis, sich abzugrenzen. Aus Sorge, allzu sehr
in die Abhängigkeit der Franzosen zu geraten, wehrte er sich gegen jede Vereinnahmung. Wenn ihm Saint-Paul nach Erhalt der Hymnen im Dezember 1890 schrieb, der Band vermittle »treffend die Sichtweise eines der Unseren«, 11 dann empfand der Adressat solches Lob als durchaus zweischneidig. Ein Dreivierteljahr später jubelte Saint-Paul, jetzt sei der Symbolismus endlich auch in Deutschland angekommen. 12 Aber George verspürte wenig Lust, den Stellvertreter französischen Geistes im Reich zu geben. »Wer die werke und den entwicklungsgang unseres dichters genau besieht«, hielt er den Kollegen in Paris im zweiten Heft seiner Blätter entgegen, »dem wird seine ursprünglichkeit klar werden.« Er betonte »das grundverschiedene seines verfahrens von den Franzosen (insonderheit Baudelaire’s)« und nannte Novalis und die deutsche Romantik »die urquellen der ›Nouvelle Poésie‹«. 13
    Es war nicht ungeschickt, die Franzosen daran zu erinnern, dass Anfang des Jahrhunderts wesentliche Impulse zur Erneuerung ihrer Literatur von Deutschland ausgegangen waren. Seit Madame de Staël ihre Landsleute 1810 in De l’Allemagne aufgerufen hatte, sich an der deutschen Romantik ein Vorbild zu nehmen, stand diese in Frankreich in hohem Ansehen. Unter Berufung auf Kant (den die Franzosen großzügig unter die Romantiker rechneten) entwickelte Benjamin Constant, der Freund der Madame de Staël, die Forderung nach einer zweckfreien Kunst und verwendete 1804 erstmals den Begriff »l’art pour l’art«. In der Zuspitzung der kunstphilosophischen Ideen des deutschen Idealismus zum Prinzip einer Kunst um der Kunst willen lag wohl »eines der produktivsten Missverständnisse« des deutsch-französischen Ideenaustauschs im 19. Jahrhundert. 14 Ihren Höhepunkt erlebte die Symbiose 1860/61, als Baudelaire im Pariser Tannhäuser -Streit Partei für Wagner ergriff. Aber selbst nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 vermutete man in Pariser Künstlerkreisen »hinter der Wilhelminischen Fassade des wenig bekannten Deutschland noch immer einen geheimnisvollen Untergrund von Romantik à la E. T. A. Hoffmann«, erinnerte sich Oscar Schmitz, der in den neunziger Jahren selber einige Zeit dort verbracht
hatte. Als »poète allemand« sei man jedenfalls »nicht schlecht angesehen« gewesen. 15
    In Hinblick auf die Wagner-Begeisterung der Symbolisten hätte es George schmeicheln müssen, mit dem 1883 verstorbenen Komponisten in eine Reihe gestellt zu werden. Aber nach welchen Kriterien urteilten die Pariser Kollegen? »Wenn Sie nicht das Original lesen, wie können Sie annehmen, dass ich von den Vorschriften des großen Meisters Wagner profitiere?« 16 Da lag das Problem. Wie sollten Saint-Paul und die anderen die neue Kunst beurteilen, wenn keiner von ihnen deutsch sprach? »Der Band ist sehr gut«, quittierte Saint-Paul die Hymnen . »Aber um Himmels willen! Schicken Sie mir eine Übersetzung – andernfalls sind Sie grausam!« 17 Aufgrund der Sprachbarriere war den Franzosen ein tieferes Eindringen in Georges Dichtung und damit eine wirkliche Anerkennung seiner Leistung unmöglich. George litt darunter. »Nehmen Sie das deutsche Wort Gemüt«, schrieb er Saint-Paul. »Um einem Franzosen zu erklären, was das Gemüt ist, wäre eine ganze Seite mit erklärendem Prosatext erforderlich … Wie wollen Sie da durch eine Übersetzung meine bahnbrechend neuen künstlerischen Ideen wiedergeben?« Das Revolutionäre seiner Hymnen , das, was sie sowohl von der Vorgängerlyrik in Deutschland als auch von der französischen Dichtung unterschied, musste für Saint-Paul »wie für alle, die keine gründliche Kenntnis unserer Literatur besitzen, unfassbar bleiben«. 18
    Saint-Paul sah das alles weniger eng, weniger

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