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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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jeder Zeile verspüre der Leser »die angeborene Königlichkeit eines sich selbst besitzenden Gemütes … Nichts ist der Zeit fremder, nichts ist den wenigen wertvoller.« 20 Ohne solchen Zuspruch wäre es für ihn auf Dauer in Deutschland gar nicht erträglich, dankte George: »Wer weiss ob ich – wenn ich Sie nicht oder Gérardy als dichter gefunden hätte – in meiner muttersprache weitergedichtet hätte!« 21
    Im Frühjahr 1896 befand sich George in stetigem Aufwind. Anfang März, zur Ankündigung seiner Lesung in Den Haag, war der von Verwey versprochene umfangreiche Aufsatz erschienen. Am 17. März hielt Gérardy im Brüsseler Salon »La Libre Esthétique« den ersten öffentlichen Vortrag über ihn, in Anwesenheit des Dichters. Am 21. März folgte Hofmannsthals Besprechung der Bücher der Hirten- und Preisgedichte . Am 28. las George im »Kunstkring«. Als er Anfang April aus Den Haag nach Bingen zurückkehrte, leitete er umgehend den längst fälligen Versand des März-Heftes der Blätter in die Wege. Wenn er sich nicht selbst um alles kümmmere, klagte er am 12. April gegenüber Hofmannsthal, passiere gar nichts. Wie schon im Vorfeld der Lesung unterrichtete er auch jetzt die wichtigen Multiplikatoren
persönlich. So schickte er Van Deyssels Bericht über die Lesung unter anderen an Hofmannsthal, einen Sonderdruck des Verwey-Aufsatzes überreichte er Ida Coblenz. An Albert Saint-Paul erging die Bitte, in L’Ermitage auf die Aufsätze von Verwey und van Deyssel hinzuweisen und sich beim Mercure de France für einen Abdruck des Gérardy-Vortrags zu verwenden. Auch die Familie wurde unterrichtet. Im Herbst hatte sich Anna noch Sorgen gemacht, dass die vielen Enttäuschungen seine Gesundheit ruinieren könnten; seine Zeit sei noch nicht gekommen, tröstete sie ihn. Im Frühjahr freute sie sich mit ihm über jede neue »schmeichelhafte Notiz«. 22
    Vieles hing jetzt davon ab, wie die nächsten Nummern der Blätter aufgenommen würden. Wie immer fehlte es an Manuskripten, und wie immer trieb George seine Mitstreiter an. Von Wolfskehl erwartete er mindestens drei Beiträge »in Ihrem neuen etwas malvenfarbigen ton, der in Wenzel’s feuriges gelb und Hugo’s ruhiges blau sehr überraschend sich vorhebt«. 23 Obwohl George sich darüber im Klaren gewesen sein dürfte, dass die Komposition der Hefte, auf deren Ausgewogenheit er so viel Wert legte, den meisten Lesern verborgen blieb, versuchte er an gewissen redaktionellen Standards festzuhalten.
    Eigentlich hatte George den Sommer über zu Hause bleiben wollen. Die Arbeit an den neuen Blättern musste jedoch zweimal unterbrochen werden. Anfang Mai fuhr er für zehn Tage nach Brüssel, um sich mit Richard Perls zu treffen. Am 3. Juli musste er Hals über Kopf noch einmal nach Brüssel. Fritz George, der jüngere Bruder, der sich dort in das internationale Weingeschäft einarbeiten sollte, war so schwer erkrankt, dass familiärer Beistand notwendig wurde. Der soeben zu seinem ersten Besuch in Bingen eingetroffene Albert Verwey hat von der Aufregung berichtet, die die Nachricht im Elternhaus hervorrief. Als das Telegramm aus Brüssel eintraf, beschloss der Familienrat, dass Stefan umgehend nach Brüssel fahren müsse. Verwey wurde aufgefordert zu bleiben. »Zeuge zu werden von soviel Schrecken, Angst und Ungewissheit, die Eltern und Schwester überkamen, musste den Freund zwangsläufig zu einem Vertrauten, fast zu einem Sohn und Bruder werden lassen«, schrieb er in seinen Erinnerungen. 24 Die bangen Stunden
des Wartens auf Nachrichten aus Brüssel bildeten die Grundlage seines über die Jahre herzlichen Verhältnisses zur Familie George. Man tauschte Grüße und Empfehlungen aus, machte sich gegenseitig kleine Geschenke, und wenn Verwey und seine Frau im nahe gelegenen Kreuznach holländische Freunde besuchten, versäumten sie es nicht, sich für gemeinsame Ausflüge mit der Familie George zu verabreden.
    Verwey hat sich wohl gefühlt am Rhein. Naturgemäß lag ihm die offene und fröhliche Art des Vaters mehr als das katholisch Strenge und Verschlossene von Mutter und Schwester. Nüchtern erkannte er die klare Rollenverteilung im Binger Haus. Die herrische Art, in der George mit seiner Schwester umging, irritierte ihn gelegentlich, und mit ironischem Unterton nannte er ihn »den Tyrannen«. 25 Ohne Kenntnis der familiären Hintergründe hätte sich Verweys Beziehung zu George wohl schwieriger gestaltet. Manches Kantige dürfte er mit Rücksicht auf die Binger

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