Stefan Zweig - Gesammelte Werke
gläubig zu machen, muß man beweisen, daß man selbst glaubt. Es genügt nicht, bloß Worte zu sprechen.« Der Ruhm ist nicht nur ein sanfter Lorbeerkranz, er ist auch ein Schwert. Glaube verpflichtet: wer einen Johann Christof das Evangelium eines freien Gewissens sprechen ließ, darf sich nicht verleugnen, wenn die Welt ihm das Kreuz bereitet hat, er muß das Apostolat auf sich nehmen und gegebenenfalls das Märtyrertum. Und während fast alle Künstler der Zeit in ihrer überreizten »passion d’abdiquer« , in ihrer Leidenschaft, die eigene Meinung wegzuwerfen und sich ganz in der Massenmeinung willenlos aufzulösen, die Gewalt, die Macht, den Sieg nicht nur als den Herrn der Stunde bejubeln, sondern sogar als Sinn der Kultur, als Lebenskraft der Welt, stellt sich hier das unbestechliche Gewissen schroff gegen alle.
»Jede Gewalt ist mir verhaßt«, schreibt Rolland in jenen entscheidenden Zeiten an Jouve, »kann die Welt nicht ohne Gewalt auskommen, so ist es meine Pflicht, nicht mit ihr zu paktieren, sondern ein anderes, entgegengesetztes Prinzip darzustellen, das jenes aufhebt. Jedem seine Rolle, jeder gehorche seinem Gott.« Nicht einen Augenblick ist er sich im unklaren, wie groß der Kampf ist, den er aufnimmt, aber das Jugendwort klingt noch in seiner Brust: »Unsere erste Pflicht ist, groß zu sein und die Größe auf Erden zu verteidigen.«
Wieder wie damals, als er mit seinen Dramen einem Volke den Glauben wiedergeben wollte, als er die Bilder der Heroen über eine kleine Zeit erhob, als er in dem Werk eines schweigenden Jahrzehnts die Völker zur Liebe und zur Freiheit aufrief, wieder beginnt er allein. Keine Partei ist um ihn, keine Zeitung, keine Macht zu seiner Verfügung. Er hat nichts als seine Leidenschaft und jenen wunderbaren Mut, dem das Aussichtslose nicht Abschreckung, sondern Anreiz ist. Allein beginnt er den Kampf gegen den Wahnwitz von Millionen. Und in diesem Augenblick lebt das europäische Gewissen – mit Haß und Hohn verjagt aus allen Ländern und Herzen – einzig in seiner Brust.
Die Manifeste
Z eitungsaufsätze sind die Form seines Kampfes: um der Lüge und ihrem öffentlichen Ausdruck, der Phrase, entgegenzutreten, muß Rolland sie auf ihrem eigenen Kampfplatz aufsuchen. Aber die Intensität der Ideen, die Freiheit ihrer Meinung, die Autorität seines Namens macht diese Aufsätze zu Manifesten, die Europa überfliegen und einen geistigen Waldbrand entzünden. Wie elektrische Funken an unsichtbaren Drähten laufen sie weiter, hier furchtbare Explosionen des Hasses herbeiführend, dort hell hinableuchtend in die Tiefen freier Gewissen, immer aber Wärme, Erregung in den polarsten Formen der Entrüstung und Begeisterung erzeugend. Niemals vielleicht haben Zeitungsaufsätze eine so gewitterhafte, zündende und reinigende Wirkung gehabt wie diese zwei Dutzend Aufrufe und Manifeste eines einzelnen freien, klaren Menschen in einer geknechteten und verwirrten Zeit.
Künstlerisch zählen diese Aufsätze selbstverständlich nicht gleich den überlegten, ausgefeilten, komponierten Werken. Auf weiteste Kreise berechnet, eingeengt durch den Gedanken an die Zensur (denn es war Rolland vor allem wichtig, daß die Aufsätze, die er im »Journal de Genève« veröffentlichte, auch in der Heimat gelesen würden), müssen sie die Gedanken zugleich mit Bedacht und mit Eile entwickeln. Sie enthalten wunderbare, unvergeßliche Schreie, sublime Stellen der Empörung und Beschwörung, aber sie sind Produkte der Leidenschaft, ungleich darum im Sprachlichen, oft auch gebunden an das gelegentliche Geschehnis. Ihr Wert liegt weitaus im Moralischen: hierin sind sie eine einzige und unvergleichliche Leistung. Künstlerisch fügten sie dem Werke Rollands kaum mehr als einen neuen Rhythmus an: ein gewisses Pathos des öffentlichen Sprechers, eine heroisch gehobene Rede, die bewußt zu Tausenden und Millionen spricht. Denn in diesen Aufsätzen redet nicht ein einzelner, sondern das unsichtbare Europa, als dessen Kronzeuge und öffentlichen Verteidiger Romain Rolland sich zum ersten Male fühlt.
Was sie in unsrer Welt damals bedeutet haben, wird das eine spätere Generation, die sie nun gesammelt in den Bänden »Au-dessus de la Mêlée« und »Les Précurseurs« , liest, überhaupt noch ermessen können? Man vermag eine Kraft nie zu berechnen, ohne ihren Widerstand, eine Tat nie ohne ihr Opfer. Um die moralische Bedeutung, den heroischen Charakter dieser Manifeste würdigen zu können, muß man den
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