Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Kaiser, ihm zu melden, große und geheime Botschaft käme für ihn über das Meer. Und Gott hat gewollt, daß seinen Worten Kraft inneward und der Kaiser ihm willfahrte. Morgen wird Benjamin und dem Vorsteher Zulaß gewährt sein in die Chalké, in des Kaisers Empfangssaal.«
Still und scheu setzte sich Zacharias wieder nieder. Alle schwiegen und schauerten. Denn schon dies war ein Wunder, noch nie gehört, daß ein Jude hintreten durfte vor das Antlitz des Unnahbaren. Ihre Seelen bebten, ihre Augen weiteten sich, und die Botschaft der Gnade flügelte über ihr ehrfürchtig Schweigen. Aber wie ein Verwundeter stöhnte Benjamin: »O Gott, o Gott! Was ladet ihr mir auf! Mein Herz ist matt, und ich spreche die fremde Sprache nicht. Wie soll ich vor den Kaiser treten und warum gerade ich? Nur zum Zeugen ward ich berufen, nur zu schauen den Leuchter, nicht ihn zu fassen und zu erringen. Nicht mich wählt! Ein anderer möge sprechen. Ich bin zu alt, ich bin zu schwach!«
Alle erschraken. Ein Wunder war bereitet, und nun weigerte sich, der ihm erlesen war. Aber während sie scheu noch dachten, wie man vermöchte, den Zaghaften zu überreden, stand abermals leise von seinem Platze Zacharias auf. Anders war jetzt seine Stimme, entschlossen und fest.
»Nein, du mußt gehen und nur du. Gering war meine Mühe, und doch, nur für dich und für keinen andern hätte ich sie getan. Denn ich weiß, wenn einer von uns allen, so bringst du den Leuchter zum Frieden.« Benjamin starrte auf. »Wie kannst du es wissen!« Aber Zacharias wiederholte still und entschlossen: »Ich weiß es und weiß es seit langem. Nur du, wenn einer, bringst den Leuchter zum Frieden.« Benjamin schwankte das Herz vor dieser Bestimmtheit. Er blickte Zacharias an, der ihn anblickte, bestärkend und lächelnd, und mit einemmal schien ihm, als hätte er sein Auge schon vordem gesehen. Auch der andere schien etwas von diesem Erkennen zu spüren, denn sein Lächeln ward heller, und wie vertraulich sprach er über die andern hinweg: »Entsinnst du dich jener Nacht, entsinnst du dich eines, der damals mit der Gemeinde ging, Hyrkanos’ ben Hillel?« Nun lächelte auch Benjamin. »Wie sollte ich mich seiner nicht entsinnen? Jedes Wort und jeden Schatten weiß ich von jener gesegneten Nacht.« Zacharias fuhr fort. »Ich bin seines Enkels Sohn. Goldschmiede sind und bleiben wir alle, und wo ein Kaiser oder ein König Gold hat und Geschmeide und einen Former sucht und einen Schätzer, wählt er einen aus unserem Geschlecht. Hyrkanos ben Hillel hat zu Rom des Leuchters gehütet in seiner Gefangenschaft, und alle seines Geschlechts, wo immer wir auch seien, warten seitdem auf die Stunde, die ihn einem andern Schatzraum zur Hütung bringt, denn wo Schätze sind, da sind auch wir als Schätzer und Former. Meines Vaters Vater aber sagte es meinem Vater, und mein Vater übermachte es mir, daß nach jener Nacht, da dein Arm zerschlagen ward, Rabbi Elieser, der Reine und Klare, von dir gekündet, was du selbst nicht wußtest, ein unmündig Kind: ein Sinn muß sein in seiner Tat und in seinem Leiden. Wenn einer, so wird dieser den Leuchter erlösen.«
Alle bebten. Benjamin beugte das Haupt. Betroffen sagte er: »Kein Mensch ist gütiger zu mir gewesen denn Rabbi Elieser in jener Nacht, und heilig ist mir sein Wort. Verzeiht den Kleinmut meines Herzens. Einmal, ein Kind, bin auch ich ein Mutiger gewesen, nur die Zeit und das Alter hat mich zum Zagenden gemacht. Aber nochmals, ich bitte euch alle: nicht erwartet ein Wunder von mir! Wenn ihr verlangt, daß ich hingehe zu jenem, der den Leuchter hält, so will ich es versuchen, denn weh dem, der frommem Versuche sich weigert. Selbst bin ich ohne Macht des Worts und der Rede, doch vielleicht schenkt Gott mir das rechte Wort.«
Ganz klein hatte die Stimme Benjamins sich gebeugt, und sein Haupt lag tief unter der Last der Berufung. Leise bat er nur: »Verzeiht, daß ich euch jetzt verlasse. Ich bin ein alter Mann und müd vom Tag und der Reise. Erlaubt, daß ich mich zur Ruhe begebe.« Alle boten ihm ehrfürchtig Raum. Nur der eine, nur sein Begleiter Jojakim, der Unbändige, konnte die Ungeduld nicht verhalten, während er den Greis zur Ruhe brachte auf der bereiteten Stätte, und er fragte:
»Aber was wirst du ihm sagen morgen, dem Kaiser?«
Der Alte blickte nicht auf, nur wie zu sich selber murmelte er:
»Ich weiß nicht und will es nicht wissen und nicht denken. In mir ist keinerlei Macht. Alles muß mir gegeben werden, und
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