Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Gewißheit.«
Alle senkten das Haupt, betroffen, daß Benjamin ihren geheimsten Gedanken erraten. Und sie schämten sich ihrer heftigen Ungeduld. Leise traten sie zur Seite, und so konnte der Vorsteher Benjamin zu dem bereiteten Platze führen, der sorgsam mit Kissen belegt war und sichtlich erhöht über den andern Plätzen. Aber neuerdings wehrte Benjamin ab: »Nein, nicht erhöht mich, und an keinem besonderen Platz will ich sitzen über euch. Denn ich bin nicht mehr als ihr alle, und vielleicht sogar nur der Geringsten einer in eurer Mitte. Ich bin nichts denn ein alter Mann, dem Gott nur geringe Kraft mehr gelassen. Ich kam nur, zu schauen und euch zu beraten. Aber erwartet kein Wunder von mir!«
Gefügig taten sie nach seinem Willen, und er saß unter ihnen, der einzige Geduldige inmitten der andern Ungeduld. Nun erst erhob sich der Vorsteher der Gemeinde zum Gruß:
»Friede mit dir! Gesegnet dein Kommen, gesegnet dein Ausgang! Unsere Seelen sind froh, dich zu sehen!«
Alle schwiegen feierlich. Dann begann mit leiser Stimme der Vorsteher:
»Wir haben die Briefe der Brüder aus Rom erhalten, die dein Kommen uns kündeten, und wir haben alles getan, was in unseren Kräften lag. Wir haben Geld gesammelt von Haus zu Haus und von Ort zu Ort, auf daß es gelinge, die Menorah zu lösen. Wir haben ein Geschenk gerüstet, um den Sinn des Kaisers milde zu stimmen. Das Kostbarste, so wir hatten, stellten wir bereit, einen Stein von Schelomos Tempel, den unsere Vorväter fortgerettet nach des Tempels Zerstörung, und wir wollen ihn dem Kaiser bieten als Geschenk. Denn all sein Sinnen und Trachten in dieser Stunde geht dahin, ein Gotteshaus zu erbauen, herrlicher, als je eines gewesen, und aus allen Ländern und Städten sammelt er das Herrlichste und Heiligste dafür. All dies haben wir willig und freudig getan. Aber wir erschraken, als wir hörten, was unsere Brüder in Rom von uns erhofften, wir sollten dir Zugang schaffen zu des Kaisers Gegenwart, daß du den heiligen Leuchter von ihm erbittest. Gewaltig erschraken wir, denn, der Herr ist in diesem Lande, Justinian, liebt uns nicht. Unduldsam ist sein Sinn gegen alle, die sich nicht genau zu seinem Glauben bekennen, gleichviel, ob sie Christen anderer Art sind oder Heiden oder Juden, und vielleicht ist unseres Bleibens in seinem Reiche nicht mehr lange, vielleicht treibt er baldig uns aus. Nie noch hat er einen der Unseren zugelassen vor sein Antlitz, und beschämten Herzens kam ich her in dieses Haus zu dieser Stunde, um dir sagen zu müssen: es ist unmöglich, was die Brüder fordern in Rom. Unmöglich ist es einem Juden, vor das Antlitz des Kaisers zu treten.«
Der Vorsteher schwieg in ein großes, fürchtiges Schweigen hinein. Alle senkten betroffen das Haupt. Wo war das Wunder? Wie sollte die Wende kommen, wenn der Kaiser sein Ohr, seinen Sinn dem Gottgesandten verschloß? Aber heller ward die Stimme des Vorstehers, da er jetzt weitersprach: »Doch tröstlich und wunderbar, immer und immer wieder neu zu erfahren, daß bei Gott nichts unmöglich ist. Als ich bedrückten Herzens dieses Haus betrat, kam einer auf mich zu aus unserer Gemeinde, Zacharias, der Goldschmied, ein frommer und gerechter Mann, und brachte mir Kunde, daß der Wunsch unserer Brüder in Rom erfüllt sei. Während wir ziellos redeten und uns mühten, hat er in der Stille gewirkt, und was den Weisen und Weisesten unmöglich schien, auf geheime Weise getan. Sprich, Zacharias, und berichte.«
In einer rückwärtigen Reihe stand einer zögernd auf, ein kleiner, zarter und buckliger Mann, scheu und beschämt, daß alle so neugierig auf ihn blickten. Er senkte die Stirn, um sein Erröten zu verbergen, denn einsamer Werkmann, der er war, und immer im stillen beschäftigt, hatte er Angst vor Rede und Belauschtsein. Er hüstelte mehrmals, und seine Stimme blieb klein wie die eines Kindes. »Nicht rühme mich, Rabbi«, flüsterte er leise, »nicht mein ist das Verdienst. Gott hat es mir leicht gemacht. Seit dreißig Jahren ist der Schatzmeister mir wohlgesinnt, seit dreißig Jahren werke ich für ihn Tag um Tag, und als das Volk vor wenigen Jahren aufstand gegen den Kaiser und die Häuser der Höflinge plünderte und verbrannte, barg ich ihn drei Tage lang mit Frau und Kind in meinem Hause, bis die Gefahr vorbei war. So wußte ich, er würde mir jede Bitte gewähren, doch nie hatte ich eine an ihn gestellt. Nun aber, da ich vernahm, Benjamin sei unterwegs, bat ich ihn zum erstenmal, und er ging zum
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