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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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erschaut.
    Auf seinen Wink schaufelte der Knecht nun die Schollen nieder, und sobald die Arbeit geendet war und flach wieder die Erde über dem geschlossenen Grab, gebot Benjamin dem Knechte, heimzukehren und das lastlose Maultier mit sich zu nehmen. Der Stumme machte verzweifelte Zeichen mit den Händen. Er wollte dartun, nicht allein dürfe der alte Mann hier im Fremden und Finstern bleiben, es drohe Gefahr von Räubern und wildem Getier. Wenigstens bis zur nächsten Raststätte wolle er den gütigen Herrn begleiten. Aber entschlossen und ungeduldig befahl der Greis dem Stummen, genau sein Gebot zu befolgen, und trieb den Zögernden scheltend davon. Er konnte es nicht erwarten, bis Mann und Tier endlich verschwunden waren hinter der Wende des Weges und er allein blieb unter dem Himmel, dem maßlos leeren, und mitten im Unfaßbaren der riesigen Nacht. Einmal trat er noch hin an das Grab und sprach gebeugten Hauptes das Totengebet: »Groß ist der Name und heilig der Name des Ewigen auf dieser Welt und in den andern Welten und auch in den Tagen der Auferstehung.« Zwar verlangte es ihn sehr, frommen Brauchs einen Stein zu legen oder sonst ein Zeichen auf die geschüttete Erde. Aber er bezwang sich um des Geheimnisses willen, und ohne nochmals sich umzuwenden, ging er weiter ins Leere, er fragte sich nicht, wohin. Er hatte kein Ziel, seit er den Leuchter zur Ruhe gebracht. Alle Angst war von ihm gefallen, und seine Seele bangte nicht mehr. Er hatte getan, was ihm zu tun gesetzt war. Nun lag es bei Gott, ob der Leuchter im Verborgenen bleiben sollte bis ans Ende der Tage und das Volk weiter zerstreut über die Erde, oder ob er endlich heimführen wollte das Volk und auferstehen lassen den Leuchter aus seinem unbekannten Grab.
    Der alte Mann ging hin durch die Nacht, die dunkel mit Wolken spielte und halb schon wieder in Sternen erglänzte, froh und froher ward ihm bei jedem Schritte der Schritt. Zauberisch fiel sie ab, die Last und Schwere der vielen gelebten Jahre, und von innen heraus hob eine Leichte an in seinen Gliedern, dergleichen er niemals gekannt. Wie von weichem und warmem Öl gelockert, gehorchten ihm plötzlich die alten, die greisen Gelenke, wie über Wasser schritt er dahin, flügelnd und frei. Schweben ward ihm das Gehn, aufwärts hob sich das Haupt, aufwärts hob sich, gleich angeschwungen von unfühlbarem Wind, die eine Hand, und schon ward ihm – oder träumte er dies nur im Wachen?–, als könnte er zum erstenmal die zerschlagene wieder heben und regen. Hell und heller fühlte er innen das Blut, und wie gärender Saft im Stamm, so stieg es jetzt klingend empor, schon pochte es hell an die Schläfen, und mit einmal hörte er großen Gesang. Nicht wußte er mehr, ob es die Toten waren unter der Erde, die da brüderlichen Chores sangen, ihn, den Heimgekehrten, zu grüßen, oder ob dies warme Brausen herab von den Sternen kam, die immer heftiger glänzten. Er wußte es nicht. Er ging nur und ging, wie von Flügeln getragen, weiter hinein und hinein in die rauschende Nacht.
    Am nächsten Morgen fanden Kaufleute, die zum Markt nach Ramleh gezogen waren, auf einem Felde unweit vom Fahrwege einen alten Mann. Er war tot. Unbedeckten Haupts lag der Unbekannte auf dem Rücken. Die Arme hielt er, als wolle er ein Unendliches umfassen, weit von sich gebreitet, offen und mit gespreiteten Fingern spannten sich die Handflächen wie die eines, der großes Geschenk empfangen soll. Hell standen in dem friedlich verklärten Gesicht des selig Ruhenden die Augen aufgetan. Und als einer der Kaufleute sich beugte, sie fromm dem Toten zu verschließen, sah er, daß sie voll Lichtes waren und daß in ihren runden ruhenden Sternen der ganze Himmel sich spiegelte.
    Streng aber stand unter dem Barte die Lippe des Fremden verschlossen: es war, als hielte er, noch über den eigenen Tod, zwischen den Zähnen ein Geheimnis fest.
    Auch der unechte Leuchter ward wenige Wochen später in das Heilige Land gebracht und gemäß Justinians Gebot in der Kirche zu Jeruscholajim aufgestellt unterhalb des Altars. Aber nicht lange war dort seines Bleibens. Denn die Perser brachen ein und zerschlugen und zerstückten ihn, um Spangen daraus zu formen für ihre Frauen und eine Kette für ihren König: wie immer Menschenwerk vergeht an der zehrenden Zeit und dem zerstörenden Sinne des Menschen, so ging auch dies Zeichen dahin, das jener Goldschmied nachahmend gefertigt, und für immer verloren blieb seine Spur.
    Geborgen aber durch Geheimnis,

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