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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Gruß des Friedens und mied jede Zwiesprach: ihn drängte es schon, das gebotene Werk zu vollenden und den Leuchter zu Grabe zu tun. Noch wußte er den Ort nicht und die Stelle, und eine Scheu, dunkel und geheimnisvoll, verbot ihm die eigene Wahl. »Zweimal ward mir«, dachte er fromm, »ein Zeichen gegeben. Ich will das dritte erwarten.« So zogen sie selbander durch das mählich dunkelnde Land, und über den Hügeln erhob sich mit schwarzen Schwingen die Nacht. Von schweren Wolken blieb der Himmel verhangen, unruhvoll gingen sie hin und wider und deckten den Mond, der längst schon – man spürte es an einem leisen Schimmer über den Gipfeln – im Scheitel der Höhe stand. Eine Stunde mochte es noch sein oder zwei bis zu dem nächsten Ort, der Nächtigung bot. Aber mit guter Kraft schritt Benjamin dahin und neben ihm als schweigsamer Schatten der Stumme, die Schaufel geschultert, und hinter beiden mit ebenmäßig geduldigem Trott das Maultier.
    Plötzlich stockte es und blieb stehen. Der Diener faßte den Maulesel am Zügel, um ihn weiterzuzerren. Doch bockig die Vorderbeine gegen den Boden gestemmt, stieß das Tier ihn zurück und schnappte bös mit den Zähnen. Es wollte nicht weiter. Zornig riß der Stumme die Schaufel von der Schulter, um mit dem hölzernen Stiel das störrische Tier in die Flanke zu stoßen, da fiel Benjamin ihm in den Arm. Er solle warten, gebot er, und in Frieden lassen das Tier. Vielleicht war dies Stocken ein Wink und das Zeichen.
    Benjamin blickte um sich. Hüglig lag das dunkle Land und verlassen, kein Haus war nah und keine Hütte. Abseits mußten sie geraten sein von der Straße nach Jeruscholajim, und Benjamin überlegte: ja, ein rechter Ort war dies, unbelauscht konnte das Werk hier getan sein. Er prüfte die Erde mit dem Stecken: fett war sie und fest und ohne Gestein. Rasch war ein Grab hier zu graben, und die Hügel ringsum boten Schutz vor dem wandernden Sand, der sonst leicht die Spuren verwehte. Nun galt es nur mehr, die gebotene Stelle zu finden. Ungewiß blickte er lange zur Rechten, zur Linken in letzter Wahl. Aber da gewahrte er zur Rechten, etwa drei Steinwürfe weit oder vier von dem Wege, im leeren Gelände einen schattenden Baum, sonderbar ähnlich in Wuchs und Gestalt jenem andern auf dem Hügel von Pera, unter dem er geruht und wo ihn die Botschaft zur Bergung des Leuchters erreicht. Er erinnerte sich seines Traums, und sicher ward ihm das Herz. Sofort gebot er dem Stummen, den Sarg abzubinden vom Rücken des Tragtiers, und siehe, kaum war dies getan, so lockerte der Maulesel schon die gesperrten Glieder, drängte an ihn heran, und er fühlte den warmen Hauch der Nüstern an seiner Hand. Es war die richtige Stelle, immer gewisser wußte er es nun, und er wies sie dem Knecht, der emsig die Arbeit begann. Silbrig klang der Spaten, gehorsam und frisch schaufelte der Stumme die stumme Erde. Bald war die Tiefe erreicht. Nun blieb noch das Letzte: den Leuchter in sie zu senken. Langsam hob mit seinen breiten Armen der ahnungslose Knecht die Last, vorsichtig glitt der Sarg hinab und lag endlich ausgestreckt zum ewigen Schlafe, hütend den kostbar goldenen Kern in der hölzernen Schale, den bald die atmende, grünende, sprossende, ewig lebendige Hülle der Erde bedecken sollte. Voll Ehrfurcht beugte sich Benjamin nieder: »Der Zeuge bin ich, der letzte«, dachte er und erschauerte abermals unter des Gedankens lastender Gewalt, »keiner auf Erden denn ich kennt nunmehr das Geheimnis unseres Leuchters. Keiner denn ich weiß sein Grab und ahnt die verborgene Stätte.« Jedoch in diesem Augenblicke entschleierte sich mit einmal der verhangene Mond. Die Wolken, die seit Abend seinen Schein verhielten, wichen ein wenig zur Seite, Helligkeit brach nieder als ein starker Strahl, und es war, als blickte aus der Mitte des Himmels zwischen dunklen Lidern ein riesiges weißes Auge herab. Nicht wie ein irdisches Auge war es, beschattet und bewimpert, weich und vergänglich, sondern ein Auge, rund und hart wie aus Eis, ewig und unzerstörbar. Bis in die Tiefe des offenen Grabs starrte und strahlte es hinein, sichtbar wurden die vier geschnittenen Kanten der Höhlung, und die fichtene Glätte des Sarges glänzte im weißflutenden Licht wie blankes Metall. Nur ein einziger Augenblick war es, ein einziger Blick von unermeßlicher Ferne herab; dann verhüllten neuerdings die Wolken den wandernden Mond. Aber Benjamin wußte: ein anderes Auge als das seine hatte des Leuchters Stätte

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