Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Kunst; und ihr größtes Meisterstück, die Kunst des Lebens, jene träge, sensuelle und voluptuöse Weise des Genießens hat sich wunderbar ausgeglichen mit der heiteren Lebensführung der Andalusier. In hundert Bauten zeigt sich die Versöhnung, Moscheen wurden zu Kirchen, die Giralda, jenes entzückende schmale Minarett, donnert heute mit frommen Glocken zur Kathedrale herab, die sich ihm andrängt. Aber am geistreichsten ist die Vereinung in den Häusern. Wohl sind sie in maurischer Art, nieder und schmucklos, mit flachen Dächern und viereckigem Hof. Doch das Geheimnisvolle und Dunkle ist hier ins Heitere gewandt. Fenster und Balkone durchbrechen die bei den Arabern geschlossene Wand und bringen die Helle in die Stuben hinein. Hell und blank ist auch der Anstrich, und nicht ängstlich verschlossen das Tor; man sieht durch den Gang, der mit farbigen Fayencen belegt ist, und munter glänzt, in den Patio, den Vorhof, hinein, wo ein Springbrunnen seinen lichten Schaum über Blumen plätschert, umrahmt von Palmen und dunkeln Sträuchern. So arm ist hier kein Haus, daß es nicht seine Blumen hätte; selbst im alten Gettoviertel, wo Murillos Haus steht, glühen die farbigen Büschel. Von den Balkonen tropfen lange Gewinde fast in die Straßen herab, in heiteren Reihen durchziehen wie bunte Soldaten Alleen die ganze Stadt. Eine wunderbare Farbenpalette ist hier entfaltet dadurch, daß die grüne Welle in die ärmsten Gassen einbricht und überall die hellen Blütenfunken sprühen. Brennen sie doch selbst – gleich einer Kohle im dunklen Herd – im Haar der Mädchen, Feuernelken und rote Rosen, stolz getragen und zärtlich bewahrt.
Und sie selbst, die Frauen, haben, ganz in Blumen gebettet, etwas von dem schönen und flüchtigen Leben der Blumen in sich. Scheinen sie doch von der Ferne oft wie Blüten in ihren grellen Kleidern und in dem flackernden Bauschen der Mantillas, die sie so unnachahmlich tragen. Und an das Zittern der Blütenstengel, an das sanfte Schwanken der Halme, wenn sie der Wind umschmeichelt, denkt man, wenn man ihren geschmeidigen Gang bewundert, dieses verlockende Wiegen, diesen heimlichen Tanz. Die ganze heiße Glut der Sonne scheint aus ihren Augen zu sprühen, die mit raschem Blitz den Neugierigen streifen, aber – hélas, schon Théophile Gautier hat es bemerkt – »une jeune Andalouse regardera avec ses yeux passionnés une charrette qui passe, un chien, qui court après sa queue«. Selbst in den Augenblicken der Gleichgültigkeit scheinen sie leidenschaftlich, vermöge dieses Augenglanzes und der unwillkürlichen Wollüstigkeit ihrer Bewegungen. Und so wie sich ihre Sprache nicht umformt zum Gesang, sondern ohne Mühe und Anstrengung hinwendet, so löst sich spontan aus ihren runden Gebärden, aus ihrem hinwellenden Gange der Tanz. Sieht man in den ärmlichsten Kaffees den Flamenco, dann weiß man erst, wie häßlich, wie schematisch die eingefressenen Gebärden unseres Theaterballetts sind, die auf ein paar angelernten Lazzi basieren und sich höchstens noch um Künsteleien erweitern können. Hier ist Tanz, was er sein soll: eine Kunstform, fast selbsttätig entstanden aus den anmutsvollen Bewegungen des Körpers, aus den Gesten des Begehrens und den rhythmischen Reizen, eine Kunst nicht der Beine, sondern eine Freude an der Linie, der Biegung, Entfaltung aller Möglichkeiten menschlicher Schönheitsformen. Alle kleinen Symbole der Weiblichkeit verwerten sich in diesen Tänzen, der Fächer, die Mantilla, der Schleier, und vor allem das Kleid, das die Bewegungen nachzeichnet, dämpft und rundet. Die meisten dieser Tänzerinnen sind nur wenig geschult, manche auch recht eintönig in den einleitenden, rein plastischen Gebärden. Wenn aber dann, erwachend beim Knattern der Kastagnetten, die wilde und doch nicht laszive Sinnlichkeit dieser zigeunerischen Tänze aufschießt, löst sich aus der Glut eine so packende Gewalt, daß sie einem das Blut rascher durch die Adern jagt, ein magischer Taumel, betörender Musik ähnlich oder dem wühlenden Föhn. Durch seine menschliche Wirkung tritt hier der Tanz wieder in die Reihe der Künste zurück, während er bei uns noch ganz unter dem Zeichen des Amüsements steht, er ist unserem Empfinden näher, weil er getränkt ist von Leidenschaft und Schönheit, von rein menschlich-primitiven Lebensäußerungen und nicht von stilisierten. Darum ist Melodie und Gesang dieser Tänze nur ein Nebensächliches und Unwertiges, eintönige Strophe etwa, wie die der
Weitere Kostenlose Bücher