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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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arabischen Begleitlieder. Nur liebt es der Andalusier, diese Sprüche mit Scherzpointen zuzuspitzen und das amoureuse Moment stark zu betonen. Denn ein wenig ist Sevilla noch immer Don Juans lockere Stadt, prunkvoll nicht, aber fanatisch in seiner Frömmigkeit, heiter, aber nicht strenge in seiner Sittlichkeit. Eine hübsche Legende sagt da mehr, als alles; über dem Tore der großen Tabakfabrik, durch das täglich viertausend Arbeiterinnen aus- und eingehen, alte und junge, hübsche und häßliche, hält ein steinerner Engel, die Fama, eine Posaune. Und das Volk munkelt, wenn einmal ein ganz tugendhaftes Mädchen durch das Tor schritte, so würde die Posaune erdröhnen. Bis jetzt soll es noch nicht geschehen sein, obzwar der geduldige Engel schon hundertfünfzig Jahre die Posaune hält. Nicht nur Figaro, sondern auch Don Juan scheint hier unsterblich.
    Mit diesem Lächeln seines Lebens hütet aber Sevilla eine sehr ernste und große Vergangenheit. Ein wenig sind vielleicht schon die Farben verblaßt, aber noch bleiben die Osterfeste berühmt in der ganzen Welt, diese prunkvollen Aufzüge und seltsamen Gebräuche der fernen Jahrhunderte. In leisen Wellen dringt das moderne Leben ein; der uralte Goldturm der Mauren sieht nun breite Meeresschiffe die leisen Wellen des gelben Guadalquivir hinaufziehen und auf der Giralda hoch oben, wo einst der Muezzin die Frommen zum Gebete rief, harrt ein ungeahntes Bild auf den Beschauer. Eine helle Stadt, weit weit hinein ins Grün verstreut, glänzt auf mit der Pracht ihrer wunderbaren Gärten, mit der Kette breiter Straßen in die Ferne gehängt; kaum kann man sie überblicken. Nun, da sich so üppig die Palette der Farben entfaltet, begreift man, daß Velêsquez und Murillo Kinder dieser Stadt sind und ewige Verkünder ihrer Schönheit, so wie Lope de Vegas Dramen ihre Geschichte und die Musiker ihre Heiterkeit vermeldet haben. Hier könnte wohl dem spanischen Volke der Dichter geboren werden, der ihm not tut, ein Heiterer, Freier, ein weiser Spötter wie Cervantes, oder ein Zauberer wie Sevillas Maler, denn die Stadt schenkt hier so vieles, die Freude am bunten Leben, den Rhythmus frisch bewegten Geschehens und das Allegro innerlicher Heiterkeit. Warum sollte nicht ein so Wunderbares in einem Ort geschehen, der selbst wie ein Wunder ist? »Quien no ha visto Sevilla, no ha visto maravilla« – bis zur Unerträglichkeit hört man hier den stolzen Adelsspruch, den sich die Stadt gegeben; und doch kann man ihre Eitelkeit nicht schelten. Denn ist es nicht ein Wunder, wenn Menschen und vieler Jahre Schicksal wirken, meinend, eine Stadt zu bauen, und es schließlich ein Lächeln wird auf dem Antlitz des Lebens?

Die Kathedrale von Chartres
    1924
    N ie war Paris so stark, so blendend wie in diesem Jahr, nie so strotzend von innerer Energie, so strahlend in einem vielfältigen Licht: ein anderer vehementerer Rhythmus schlittert die Straßen, und wer vordem den linden, lässigen Atem dieser Stadt geliebt, spürt erstaunt und beinahe erschreckt, wie heiß, wie leidenschaftlich und fast fieberhaft er nun schwingt. Etwas von New York, vom Tempo der amerikanischen Riesenstädte hat sich eingedrängt in die Avenuen: weiß und blendend gießt sich das Licht über die menschenflirrenden Straßen, von Dach zu Dach springen die Leuchtplakate, und die Häuser zittern bis hinauf zum First vom Gedröhn der Automobile. Die Farben, die Steine, die Plätze, alles glüht und flackert und brennt von diesen neuen Geschwindigkeiten, bis hinab in die donnernde Höhlung der Untergrundbahnen schwingt jeder Nerv dieser blendenden Stadt, und jede Fiber des eigenen Leibes schwingt unbewußt mit: man fühlt sich gejagt, geschoben, getragen von diesem flirrenden Rausch, der betäubt und beglückt und doch müde macht. Lustvoll ist dieses Tempo, eine Phantasmagorie dem Blick, eine starke Spannung dem Gefühl – aber dann kommt immer wieder ein Augenblick, in dem man sich sagt: zu viel! Man möchte für eine Stunde ruhen und rasten, wie vor Jahren lässig schlendern in den alten Gassen der Rive gauche, auf dem jugendgeliebten Boul’ Mich’. Aber die alten Gassen sind nicht mehr stiller Wanderschaft wohlgewillt – wie aus dem Geschützrohr einer Kanone zuckt aus ihrem schmalen Schlund gleich einem Geschoß Schlag auf Schlag, Schuß auf Schuß ein Automobil hinter dem andern. Und auf dem Boul’ Mich’ haben (wie überall) die Banken die Cafés verdrängt – die Jugend, die Studenten, sie sind hinaufgeschoben in

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