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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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und hoch dann, o, ganz hoch, viel höher als man jemals den Blick erhoben, die Krone. Und rings herum, zur Rechten, zur Linken dann die Vasallen, herberufen aus allen Ländern und Zonen, aus Sumatra und Malakka, aus Afrika und vom Äquator, ein Riesengeschlecht vielfältigster Art. Man weiß sie nicht anzusprechen, man weiß ihre Namen nicht, man kennt die Früchte nicht, die sonderbar geformten und gefärbten, die sie in ihrem Laubwerk tragen, aber man spürt, daß diese Riesen uralter Herkunft sind, und man sinnt den exotischen Fernen nach, aus denen sie gekommen, um ihre Früchte und Farben vereinigt hier darzubieten. Und dann wieder, überschattet von bunten Sträuchern, im sumpfigen Teich die mächtigen Blüten der Victoria Regia und auf den höheren waldigen Teilen Bäume und Sträucher unserer Zonen, die man wie Freunde in der Fremde erkennt – ein lebendiges Museum einerseits, ist dieser Garten doch gleichzeitig ein vollkommenes Stück Natur. Denn nichts ist genialer in seiner Anlage, als daß er einem der mächtigen Hügel angelehnt ist; dadurch wird die Illusion erweckt, als ginge von hier, mitten aus einem Park und einer Weltstadt, dieses wogende Grün weiter und weiter ins Land, das ganze Reich, die ganze Welt entlang, und man sei erst am Anfang ungeheurer Überraschungen. Nicht einen Augenblick fühlt man sich umgrenzt. Es ist, wie wenn man von einem Vorgebirge jäh an das Meer tritt, eine unvergeßliche Vision von der Unendlichkeit der Natur.
    Aber ist der andere Park Rios, der Parque da Cidade, minder großartig? Er ist nur anders. Er wollte einzig der Schönheit dienen und nicht wie der Jardim Botânico auch der Wissenschaft. Als Garten eines der Patrizier Brasiliens, der ihn der Stadt übermachte, war er geschaffen, um von einer Villa auf der Höhe mit einem Blick alles zu umfassen, was Rios Landschaft an Vielfalt enthält, das Meer und die Berge, die Täler und die Üppigkeit seiner Vegetation. Aber es wurde nicht ein Blick, sondern ein Nichtendenkönnen an Blicken; da sanfte Hänge, dort kunstvolle Blumen, die wetteifern mit den Farbenfanalen der Araras, dieser schönsten aller Papageien, und dazwischen ein Teich und hier wieder eine Terrasse; alle Künste der Gartenarchitektur sind hier wissend enthalten. Und zu all dem muß man sich in Rio immer noch den Himmel erdenken, diesen klaren, reinen Himmel, der wie eine stahlblaue Scheibe alles Licht schärfer und zugleich diffuser verteilt, so daß jede einzelne Farbe mit gleichsam explosiver Kraft sich entlädt und die feinste Kontur eines Baumes sich genau abzeichnet. Und zu all diesen Herrlichkeiten endlich noch diejenige, die Natur erst vollkommen macht: die große Stille. Denn so weiträumig erstrecken sich diese Parks, daß man selten jemandem darin begegnet; hier kann man mitten in einer Weltstadt mit dem Vollkommenen selig allein sein. Hier schweigt der Lärm, und nur mit tausend warmen unsichtbaren Lippen atmet die Erde die weiche, schwülige Luft.
    Einen andern Tag hinauf in höhere Zonen. Kann man Berge sehen inmitten einer Stadt ohne die Lust, sie zu besteigen, ohne das Verlangen, klar ausgebreitet das steinerne und grüne Gewirr zu sehen, in dem man lebt? Es wird einem leicht gemacht, denn der Corcovado, der 700 Meter hoch sich über – oder eigentlich inmitten – der Stadt erhebt und sein nachts elektrisch erhelltes Kreuz mit großartiger Geste segnend über die ganze Bucht von Guanabara hebt, ist nicht einmal ein Ausflug zu nennen; in zwanzig Minuten klettert ein Auto die scharfen Kurven auf den beschatteten Wegen hinan bis zum Gipfel. Und hier tut ein unvergeßliches Panorama sich auf. Endlich, endlich überschaut man die ganze Stadt mit ihrer Bucht, ihren Bergen und Seen, ihren Inseln und Schiffen, ihren Häusern und ihrem Strand! Endlich sieht man, mit blauen, grünen, weißen Linien gezeichnet, den Grundriß ihrer Anlage und gleichzeitig ihre Mächtigkeit. Vom Wind umbraust, an die Riesenstatue des Redentor gelehnt, umfaßt man die ganze Vista; es ist wahrhaftig der Blick aller Blicke und doch unfotografierbar wie alles in Rio, weil zu groß in seinen Perspektiven ausgespannt. Denn überall ist Blick, zur Rechten, zur Linken, nach Ost und West und Nord und Süd, da das Meer, ins Unendliche blauend, dort die Bergkette von Teresópolis, da das flache Land und der Strand und die Bucht und die Stadt; jetzt erst begreift man die einzigartige Kombination aus dieser Höhe des Vogelflugs.
    Und doch ist der Corcovado bloß einer unter den

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