Steh dir nicht im Weg
automatisierten negativen Gedanken, haben wir ihr zu Folgendem geraten: Sie sollte sich jedes Mal, wenn sie eine Frage hatte, diese Frage aufschreiben und versuchen, sie selbst zu beantworten. Erst wenn ihr das nicht gelang, sollte sie ihren Meister fragen. Das stärkte einerseits ihr Selbstvertrauen – denn die meisten Fragen erledigten sich dadurch von selbst und sie merkte, dass sie wirklich denken konnte –, andererseits wurde so sichergestellt, dass sie das, was sie als Berufsneuling wirklich noch nicht wissen konnte, auch erfragte.
Zeig keinen Ärger
Wenn Eltern schlecht mit Ärger umgehen können, wenn sie selbst ein inneres Verbot haben, Ärger zu äußern, geben sie dieses Verbot mit der Einschärfung »Zeig keinen Ärger« an ihre Kinder weiter. Solchen Kindern fehlt es an einem Modell, wie man Ärger angemessen zum Ausdruck bringt – denn sie dürfen selbst dann nicht zeigen, dass sie sauer oder wütend sind, wenn sie einen guten Grund dafür haben. Da sich die Eltern auch ihrerseits keinen offenen Ärger gestatten, wird das Kind für Ärgerreaktionen mit Liebesentzug bestraft. So lernt es, dass Ärger zeigen nur Scherereien einbringt, und man schon gar nicht das bekommt, was man möchte.
Andererseits kann niemand Ärger immer nur schlucken, ohne dass er irgendwann aus ihm herausbricht. Denn keinen Ärger zu zeigen ist ja keineswegs gleichbedeutend damit, keinen zu empfinden. Es kann den Eltern also passieren, dass der angestaute Ärger sich irgendwann – aufgrund eines möglicherweise unbedeutenden Ereignisses – explosionsartig und völlig unangemessen entlädt. Das Kind lernt dadurch zusätzlich, dass Ärger wirklich eine schlimme Sache ist, wenn er so bedrohliche Ausmaße annehmen kann. Man sollte also wirklich alles daransetzen, ihn zu unterdrücken!
|192| Die natürliche Funktion von Ärger ist einerseits, dass man damit seine Bedürfnisse und Interessen durchsetzen kann, zum anderen dient er dazu, sich gegen andere abzugrenzen. Wenn jemand als Kind keinen angemessenen Umgang mit dem eigenen Ärger in sein Verhaltensrepertoire aufnehmen konnte, fehlt ihm ein wesentliches Ausdrucksmittel. Man muss neue Mittel und Wege finden, wie man mit den Situationen klarkommt, die einen im Laufe des Tages ärgerlich werden lassen.
Dabei kommt es oft zu einem Verhalten, das in der Transaktionsanalyse »Rabattmarkensammeln« genannt wird. Bei jedem Vorfall, über den man sich heimlich ärgert, »klebt« man eine Ärgerrabattmarke in sein Rabattmarkenheft. Die letzte Marke, die eingeklebt wird, gibt die Berechtigung, das ganze Heft einzulösen: Auch wenn das ein kleines Ärgernis war, kommt der ganze angestaute Ärger an die Luft. Die Folge ist ein dem Ereignis total unadäquater Wutausbruch, der alle Beteiligten erschreckt – auch den, der gerade so unbeherrscht explodiert. Nur kurze Zeit später wird man sich für sein Verhalten entsetzlich genieren und wieder eine Bestätigung dafür haben, dass es wirklich nicht in Ordnung ist, seinen Ärger zu zeigen! Und man fängt ein neues Rabattmarkenheftchen an …
Auf die Idee, dass es besser ist, gleich zu sagen, was einem nicht passt, kommt man nicht so ohne Weiteres, wenn man folgende Gedankenmuster verinnerlicht hat:
So schlimm ist es jetzt auch wieder nicht.
Verkneif dir deinen Ärger.
Es stinkt mir, aber das zu sagen, gehört sich nicht.
Du solltest dich schämen, wegen dem bisschen so einen Aufstand zu machen.
Da man nie gelernt hat, wie man angemessen und im richtigen Verhältnis zum Anlass Verärgerung äußert, gibt es für diese Menschen nur entweder die trügerische Ruhe vor dem Sturm oder den Sturm – alle Zwischenstufen fehlen.
Menschen mit der Einschärfung »Zeig keinen Ärger« unterscheiden |193| sich in ihrem Empfinden deutlich von Menschen, die alles gelassen und locker nehmen können: Die erleben tatsächlich keinen Ärger, während die anderen ihn nur so lange zudeckeln, bis der Punkt erreicht ist, an dem sie sagen können »Jetzt reicht’s!« Wer Gelassenheit zu seinen Wesensmerkmalen zählt, hat meist auch kein Problem damit, sich durchzusetzen. Doch wer der Einschärfung »Zeig keinen Ärger« folgt, erlebt Situationen, in denen es darum geht sich zu behaupten, durchaus als problematisch oder hat vielleicht sogar Angst davor, denn ihn beherrschen negative Gedankenmuster, die ihn entmutigen:
Wenn ich jetzt versuche, mich durchzusetzen, endet das bestimmt peinlich.
Ich trau mich nicht, ihm so richtig die Meinung zu sagen.
Jetzt laut
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