Steh dir nicht im Weg
oft genug führt sie auch dazu, dass Menschen indirekte Wege wählen, sich umzubringen. Wer etwa über zwanzig Zigaretten pro Tag raucht, kann sich heutzutage nicht mehr einbilden, er schade nicht seiner Gesundheit. Wer zu viel trinkt, zu viel isst, aber auch höchst riskant Auto oder Motorrad fährt, sich halb tot arbeitet oder sich immer wieder den gefährlichsten Situationen aussetzt, wird möglicherweise von der Einschärfung »Sei nicht« dazu getrieben, sein Leben auf diese Art vorzeitig zu beenden.
Eine andere Möglichkeit, mit dieser Einschärfung umzugehen, kann darin bestehen, den Glauben zu entwickeln »Wenn ich immer besonders liebenswürdig, hilfsbereit und gefällig bin, werden meine Eltern/wird die Welt mein Dasein akzeptieren«. Wer diesen Weg für sich gewählt hat, wird immer sehr viel für andere tun – ist aber auch abhängig davon, permanent die Bestätigung zu erhalten, gebraucht zu werden. Wenn diese Bestätigung ausbleibt – sei es, dass die ehemals |184| hilfsbedürftigen Kinder jetzt ohne Weiteres für sich selbst sorgen können, dass der Mensch, den man gepflegt hat, gestorben ist, oder die Firma auch ohne einen sehr gut zurechtkommt –, so bricht für den Betroffenen die Welt zusammen, denn jetzt hat er seine »Lebensberechtigung« verloren. Das Erbringen von Spitzenleistungen kann ebenfalls ein Weg sein, sich seinen Platz im Leben zu ertrotzen. Dahinter steckt der Glaube »Wenn ich der Beste bin, dann müssen sie mich doch lieben«. Das funktioniert aber nur, solange man seine volle Leistungsfähigkeit hat und nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt. Kann man aus irgendeinem Grund nicht mehr zur Spitze zählen – vielleicht weil eine Krankheit die Kraft raubt oder weil man durch die wirtschaftliche Situation seinen Arbeitsplatz verliert –, so wird daraus eine wahrhaft existenzielle Bedrohung, denn dann wird die Einschärfung mit ihrem vollen Gewicht spürbar. Die Folge ist, dass man sich absolut wertlos fühlt, da man nichts mehr leisten kann. Auch das kann zur Selbstmordgefahr führen, denn man sieht plötzlich keinen Sinn mehr im Leben.
Beispiel: Einen solchen Fall erlebten wir mit einer ehemaligen Chefsekretärin. Sie hatte mit fünfunddreißig Jahren einen Schlaganfall erlitten, doch dabei Glück im Unglück gehabt. Als einzige Folge davon blieb bei ihr zurück, dass sie von ihrer weit überdurchschnittlichen Merk- und Konzentrationsfähigkeit so viel einbüßte, dass sie jetzt auf Normalmaß war. Da sie aber ihre ganze Lebensberechtigung aus ihrer Leistungsfähigkeit bezog, fühlte sie sich durch diese Einbuße, die ein anderer Mensch noch nicht einmal bemerkt hätte, vollkommen wertlos – so wertlos, dass sie selbstmordgefährdet war. Automatisierte negative Gedankenmuster, die aus der »Sei nicht«-Botschaft resultieren, sind:
Ich wollte, ich wäre tot.
Dieses Leben ist nichts für mich.
Wenn das Leben nur schon vorbei wäre.
Mir tut das Leben nur weh.
|185| Wenn ich nicht mehr gebraucht werde, bin ich völlig nutzlos.
Wenn ich nichts mehr leisten kann, bin ich nichts mehr wert / macht das ganze Leben keinen Sinn mehr.
Das Leben ist sowieso total sinnlos.
Gedanken dieser Art, auch wenn sie gar nicht mehr oder nicht immer bewusst wahrgenommen werden, erzeugen immer wieder aufs Neue den alten Schmerz aus der Kindheit.
Sei nicht wichtig
Die Einschärfung »Sei nicht wichtig« wird Kindern häufig von unsicheren Eltern vermittelt. Eltern, die wahrscheinlich selbst Angst vor Ablehnung haben, finden alles peinlich, was irgendwie aus der Rolle fallen oder von der Norm abweichen könnte. Kinder, die ein Bedürfnis danach haben, Aufmerksamkeit zu erlangen, die lautstark auf ihre Bedürfnisse hinweisen und ungeniert das tun, wonach ihnen der Sinn steht, sind aus ihrer Sicht ganz besonders peinlich. Deshalb erziehen ihre Eltern sie schon sehr früh dazu, bescheiden und unauffällig zu sein, sich im Hintergrund zu halten, möglichst gar nicht in Erscheinung zu treten. Einem Kind, das so erzogen wird, wird nicht gestattet, die eigenen Wünsche durchzusetzen, denn »was sollen denn die Leute denken!« Also lernt das Kind recht schnell, dass die eigenen Bedürfnisse nichts zählen. Daran kann man frühestens denken, wenn die Interessen aller anderen berücksichtigt und befriedigt sind. Bald hat das Kind den Glauben verinnerlicht, dass es selbst ganz unwichtig ist.
Ein Kind mit diesem Hintergrund versucht mit allen Kräften, sich an seine Umgebung anzupassen. Nach Möglichkeit
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