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Steh dir nicht im Weg

Titel: Steh dir nicht im Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dehner , Ulrich Dehner
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zu werden, gehört sich nicht.
Ich darf nicht so überempfindlich sein.
Ich muss den Mund halten, sonst raste ich noch aus und dann akzeptiert mich hier keiner mehr.
Ich darf nicht unfreundlich werden.
Ich muss eben verständnisvoller sein.
So einen Aufstand zu machen wäre doch geradezu kindisch, was sollen die anderen von mir denken.
    Die Einschärfung »Zeig keinen Ärger« geht des Öfteren einher mit der Einschärfung »Sei nicht wichtig«. So war es auch bei einer Teilnehmerin, die einen Konflikt mit ihrer Schwester bearbeitete:

    Beispiel: Ihre Schwester, die in ihrer Nähe wohnte, hatte beschlossen, eine Wochenendreise mit ihrem Mann zu unternehmen und diese Reise auch schon gebucht. Der siebzehnjährige Sohn sollte das Wochenende bei seiner Tante – unserer Teilnehmerin – verbringen. Die wurde gar nicht erst gefragt, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Da unsere Teilnehmerin sowohl ihre Schwester als auch ihren Neffen sehr gern mochte, nahm sie das auch widerspruchslos hin. Im Grunde ihres Herzens ärgerte sie sich aber – nicht darüber, |194| den siebzehnjährigen Jungen zu betreuen, sondern über das Verhalten ihrer Schwester, das sie als Übergriff empfand. Sie wäre gern wenigstens gefragt worden, ob ihr das überhaupt recht sei. Aber da sie keine innere Erlaubnis besaß, ihren Ärger zum Ausdruck zu bringen, empfand sie auch noch Schuldgefühle, dass sie überhaupt ärgerlich geworden war. Das drückte sich in folgenden Gedanken aus: »Jetzt sei doch nicht so kleinlich und gönne ihr das Wochenende. Ist doch nicht so schlimm, dass sie nicht gefragt hat, schließlich ist sie deine Schwester. Du solltest dich schämen, dass du so kleinkariert bist!«

    Es tat ihr gut, ihre negativen Gedanken bezüglich der Erlaubnis, Ärger zu äußern, mit konstruktiven Gegenargumenten zu beantworten. Doch da ihr Verhaltensrepertoire in Bezug auf Ärger stark eingeschränkt war, wusste sie einfach nicht, wie sie sich angemessen Luft machen konnte. Das ist ein Problem, das viele Menschen mit der »Zeig keinen Ärger«-Einschärfung haben: Sie haben keinerlei Vorstellung davon, wie sie sich in der problematischen Situation adäquat äußern können. Ihre Verhaltensbandbreite ist sehr eng: Sie können entweder nur sehr indirekt mitteilen, dass sie etwas stört – meist so indirekt, dass der Empfänger der Botschaft sie gar nicht versteht –, oder sie haben nach langem Rabattmarkensammeln einen plötzlichen Wutausbruch.
    Für solche Fälle empfiehlt sich ein »Extremtraining«. Der Übende soll dabei seinen Ärger einmal ganz extrem äußern. Dieses Extremtraining ist ausschließlich als »Trockenübung« gedacht, das heißt, man sollte sich keineswegs in einer realen Situation so verhalten, sondern nur zu Übungszwecken einmal verbal auf den Putz hauen! Der Hintergrund ist folgender: Wenn man die Bandbreite der eigenen Verhaltensmöglichkeiten definiert als eine Strecke von A nach B – wobei A Stillschweigen und B einen völlig unangemessenen Wutausbruch bedeutet –, so ist der Mittelpunkt dieser Strecke das, was die Menschen für gewöhnlich als akzeptablen Ausdruck sehen. Da die Bandbreite bei solchen Menschen meist sehr gering ist, ist der |195| Ausdruck ihres Ärgers, wenn sie den Mittelpunkt wählen, sehr dürftig. Ziel des Extremtrainings ist es, die Bandbreite zu vergrößern, um diesen Mittelpunkt zu verschieben.
    Im obigen Beispiel wurde die Teilnehmerin aufgefordert, im Rollenspiel ihrer Schwester einmal deutlich zu sagen, was sie von deren Verhalten hält. Sie sollte dabei ruhig ausfallend, beleidigend und gemein werden. Die Szene wurde mit Video aufgenommen. Das ist wichtig, denn für den Übenden ist es sehr hilfreich, einen Außenblick auf sich selbst zu haben. Der Effekt ist nämlich der, dass der Übende beim Anschauen des ersten Versuchs erkennt, dass das, was er für grob und brutal gehalten hat, eine meistens eher zahme Veranstaltung war – im besten Falle »freundlich, aber bestimmt«. Deshalb ist es wichtig, an diesem Punkt nicht aufzuhören, sondern weiterzumachen. Der Übende soll ein Gespür dafür bekommen, wie er seinen Ärger verbal äußern kann. Also wird er aufgefordert, so lange weiterzmachen, bis wirklich Power zu spüren ist.
    Bei unserer Teilnehmerin klang der erste Versuch ebenfalls noch recht zaghaft: »Ich finde, du hättest mich wenigstens fragen können, bevor du deinen Sohn über das Wochenende bei mir einquartierst!« Das war alles, was herauskam. Nach fünf oder

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