Steh dir nicht im Weg
Eltern machen nicht mehr so ein Theater, denn immerhin hat sich das Kind ja Mühe gegeben!
|218| So ähnlich könnte in vielen Fällen der Antreiber »Streng dich an« zustande kommen. Es geht nicht um das Ergebnis, sondern nur um die Mühe, die man sich gibt. Auf diese Art und Weise wird die Anstrengung an sich zum Wert, völlig unabhängig davon, was man erreicht. Wenn man sich tüchtig anstrengt, dann darf man auch versagen. Umgekehrt zählt auch kein Erfolg etwas, den man mit Leichtigkeit erzielt hat, und was man mit Leidenschaft, Freude und Lust tut, gilt auch nicht als Arbeit. Menschen mit dem »Streng dich an«-Antreiber erzählen sehr viel von ihrer Mühsal, schildern gern, wie oft sie halbe Nächte durcharbeiten müssen und wie viele Wochenenden sie opfern – und merken meist nicht, dass jemand anderer mit der Hälfte des Aufwands genauso weit kommt wie sie.
Der »Streng dich an«-Antreiber kann sich aber auch in der Haltung äußern, dass das Leben in erster Linie ein Kampf ist, dass einem nichts in den Schoß fällt. Meist haben einem die Eltern zu Hause schon vermittelt, dass das Leben keine Geschenke macht. Also rackert man sich ab – denn so ist schließlich das Leben!
Wahrscheinlich sind weltweit viele Büros bevölkert mit Angestellten, die zwar »schuften« wie die Verrückten und Überstunden anhäufen, deren Output sich aber doch in bescheidenen Grenzen hält. Sollte Sie dieses Phänomen schon immer gewundert haben: Jetzt kennen Sie den Grund! Es geht nicht darum, effizient zu sein, sondern darum, dem Antreiber »Streng dich an« zu genügen. Oft genug wird jemand, der in acht Stunden effizient seinen Job erledigt, deshalb scheel von der Seite angesehen: »Ob der sich wirklich Mühe gibt?« Schließlich versichert man sich unter Kollegen immer wieder gern, welche Berge von Arbeit noch vor einem liegen und mit welchen enormen Schwierigkeiten man noch zu kämpfen hat.
Dieses Verhalten führt übrigens auch dazu, dass das subjektive Empfinden von Erschöpfung verstärkt wird. Menschen, die sich immer wieder suggerieren, welches gewaltige Pensum sie noch zu bewältigen haben, fühlen sich von dem erschöpft, was noch vor ihnen liegt – und nicht vom tatsächlich Erledigten. Außerdem setzen sie |219| sich mit der permanenten Angst unter Druck, sich nicht genug anzustrengen. Sie erschrecken sich selbst mit folgenden Gedanken:
Oh Gott, wie soll ich das bloß alles schaffen?
Das wird heute wieder ein wahnsinnig anstrengender Tag.
Was, das ist auch noch zu erledigen, das macht mich völlig fertig.
Wenn ich sehe, was ich noch alles zu tun habe, wird mir ganz schlecht.
Was war das heute wieder für ein furchtbarer Tag!
Ich muss noch dieses …, ich muss noch jenes …
Jetzt reiß dich halt mal zusammen und streng dich richtig an.
Konzentriere dich, deine Oma könnte das ja besser.
Wieso bist du nur so ein Versager – kannst du dir nicht einmal wirklich Mühe geben!
Andererseits lassen sie nichts gelten, was nicht mit sehr viel Mühe erreicht wurde: »Ach, das war ja jetzt nichts, das war einfach!« »Nein, das kann man nun wirklich nicht zählen, das habe ich ja im Handumdrehen gemacht!« Damit etwas in ihren Augen eine Leistung ist, müssen sie wirklich viel dafür leisten. Das gilt übrigens nicht nur für den Beruf, auch beim Hobby oder im Sport lässt sich das beobachten. Entweder man kommt auf dem Zahnfleisch nach Hause gekrochen oder es war nichts: »Ich will richtig Sport treiben und nicht nur ein bisschen rumhampeln!« Man macht schließlich nicht zum Vergnügen Sport!
Sei stark
»Sei stark!« Das ist eine Anforderung, mit der die männliche Bevölkerung vermutlich häufiger konfrontiert wird als die weibliche, denn sie passt zu einem Männlichkeitsideal, bei dem das Zeigen von Schwäche verpönt ist. Wobei zu »Schwäche« auch alles gehört, was mit Gefühlen zu tun hat. Das Kind wurde also nicht nur frühzeitig |220| darin trainiert, möglichst viel auszuhalten und nicht aufzugeben, sondern auch darin, keine Gefühle zu zeigen. Das hat zur Folge, dass Menschen mit dem »Sei stark«-Antreiber oft große Schwierigkeiten mit ihrer Körperwahrnehmung haben. Sie haben sich systematisch abgewöhnt, auf ihren Körper zu hören. Denn wenn man seine körperlichen Reaktionen wahrnimmt, hat man auch sehr schnell Zugang zu den Emotionen – und das kann sich jemand mit diesem Antreiber gar nicht leisten.
Wer dem »Sei stark«-Antreiber genügen will, hat den Anspruch an sich, alles allein zu
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