Steh zu dir
Film und an den Feiertagen Besuche der Kinder. Sie hatte es verdient, geliebt zu werden, glücklich zu sein und einen Lebenspartner zu haben.
»Musst du unbedingt die Jungfrau von Orléans spielen und ein Ehelosigkeitsgelübde ablegen, um du selbst sein zu können?«
»Vielleicht«, presste Carole zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Stevie begann, ihr auf die Nerven zu gehen. Genau das hatte Stevie auch beabsichtigt, dennoch hatte sie nicht das Gefühl, zu Carole durchzudringen.
Frustriert wandten sich die beiden wieder ihren Zeitungen zu. Es kam selten vor, dass sie derart unterschiedlicher Meinung waren. Keine von ihnen sagte ein Wort, bis am Mittag die Ärztin kam, um Carole zu untersuchen.
Sie war zufrieden mit Caroles Fortschritten. Das viele Spazierengehen hatte ihr gut getan. Sie konnte die Beine besser koordinieren, das Gleichwicht halten, und ihr Gedächtnis erholte sich zunehmend. Die Ärztin war zuversichtlich, dass Carole wie geplant bald nach L. A. zurückkehren konnte. Aus medizinischer Sicht sprach nichts dagegen. Die Ärztin kündigte an, in ein paar Tagen noch einmal vorbeizukommen, und riet Carole, bis dahin so weiterzumachen wie bisher. Sie gab der Krankenschwester ein paar Anweisungen und fuhr dann zurück ins Krankenhaus.
Nachdem die Ärztin gegangen war, bestellte Stevie Lunch für Carole. Sie selbst zog sich in ihr Zimmer zurück, um dort zu essen. Sie war zu aufgebracht wegen dem, was Carole gesagt hatte, als dass sie beim Essen mit ihr über Nichtigkeiten hätte plaudern können. Ihrer Meinung nach beging Carole den größten Fehler ihres Lebens. Die Liebe lief einem schließlich nicht jeden Tag über den Weg. Carole war sie noch einmal in den Schoß gefallen, und Stevie hielt es für ein Verbrechen, diese Chance nicht zu ergreifen.
Carole langweilte sich allein an ihrem Tisch. Stevie hatte Kopfschmerzen vorgeschoben, was Carole ihr nicht glaubte. Sie nahm es ihr aber nicht übel. Nachdem Carole eine Zeit lang im Wohnzimmer ihrer Suite auf- und abmarschiert war, rief sie Matthieu im Büro an. Vielleicht war er gerade zum Essen, aber sie wollte es dennoch versuchen. Seine Sekretärin stellte sie durch.
Matthieu saß an seinem Schreibtisch und aß ein Sandwich. Er war den ganzen Tag über in einer miesen Stimmung gewesen. Bereits zweimal hatte er seiner Sekretärin fast den Kopf abgerissen und die Tür zugeknallt, nachdem er sich über einen Klienten geärgert hatte. Seine Sekretärin hatte ihn noch nie so erlebt. Deshalb meldete sie auch nur zögernd, wer am Telefon war. Er nahm den Anruf jedoch sofort entgegen. Matthieu hoffte, dass Carole ihre Meinung geändert hatte.
»Bist du zu wütend, um mit mir zu reden?«, fragte Carole mit sanfter Stimme.
»Ich bin nicht wütend auf dich«, antwortete er traurig.
»Hast du deine Meinung geändert? Mein Angebot gilt noch.« Unwillkürlich musste er lächeln, denn ihm war klar, dass es bis in alle Ewigkeit gelten würde.
»Nein, habe ich nicht. Ich weiß, dass es die richtige Entscheidung ist, zumindest für mich. Ich habe zu große Angst davor, noch einmal zu heiraten. Jedenfalls im Moment. Und ich will es auch nicht. Heute Morgen habe ich mit Stevie darüber gesprochen, und sie glaubt, dass ich in zehn oder fünfzehn Jahren anderer Meinung sein werde.«
»Dann werde ich wohl nicht mehr leben«, erklärte er nüchtern, und Carole schauderte bei dem Gedanken.
»Hoffentlich doch. Oder war das nur ein kurzfristiges Angebot?«
»Ein langfristiges. Spielst du etwa mit mir?« Ihm war klar, dass er selbst das verdient hätte.
»Natürlich nicht, Matthieu. Ich versuche, mich zu finden und das zu respektieren, woran ich glaube. Ich liebe dich, aber ich muss mich selbst achten. Wenn ich das nicht tue, was bleibt mir dann? Es ist alles, was ich habe.«
»Du hast dich immer selbst respektiert, Carole. Deshalb hast du mich damals verlassen. Du hattest zu viel Selbstachtung, um zu bleiben.«
Sie saßen zum zweiten Mal in einer Zwickmühle fest, damals war es seine, heute ihre. Anscheinend waren sie ständig gefangen zwischen unvereinbaren Möglichkeiten, die damit zu tun hatten, sich selbst oder andere und manchmal beides gleichzeitig zu respektieren.
»Würdest du heute mit mir zu Abend essen?«, fragte sie ihn.
»Sehr gern.« Matthieu klang erleichtert. Er hatte schon befürchtet, dass sie ihn vor ihrer Abreise nicht wiedersehen wollte.
»Im Voltaire?«, schlug sie vor. Dort waren sie unzählige Male zusammen gewesen. »Neun Uhr?«
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