Steh zu dir
dass ich vergaß, was wirklich wichtig ist. Ich habe meine Kinder großgezogen und meine Ehemänner geliebt. Vor seinem Tod habe ich Sean auch nicht eine Minute allein gelassen. Jetzt möchte ich tun und lassen, was ich will, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, ob ich damit jemanden verletze, verärgere oder im Stich lasse. Wenn ich mich ins Flugzeug setzen und irgendwo hinfliegen will, so kann ich das tun. Wenn ich keine Lust habe, zu Hause anzurufen, brauche ich das auch nicht zu tun. Weil dort niemand auf mich wartet. Vor Jahren hätte ich für Matthieu alles stehen und liegen gelassen. Sogar meine Karriere hätte ich für ihn aufgegeben. Ich wollte seine Frau sein und Kinder mit ihm haben. Aber das ist lange her. Jetzt besitze ich ein Haus, das mir gefällt, Freunde, die ich mag, kann meine Kinder sehen, wann immer ich will. Ich möchte nicht in Paris hocken und mir wünschen, woanders zu sein. Schlimmer noch, mit einem Mann, der mir weh tun könnte und es in der Vergangenheit bereits getan hat.«
»Ich dachte, du magst Paris.« Stevie hatte ihr erstaunt zugehört. Aber vielleicht war es wirklich zu spät.
»Das tue ich auch. Ich liebe diese Stadt. Aber ich bin keine Französin. Ich möchte mir nicht anhören müssen, was an meinem Heimatland nicht stimmt, wie unausstehlich Amerikaner sind oder dass ich keine Ahnung habe, weil ich aus einem ›unzivilisierten‹ Land stamme. Matthieu hat einen Großteil unserer Probleme auf ›kulturelle Diskrepanzen zurückgeführt, weil ich wollte, dass er sich scheiden lässt. Nenn es altmodisch oder puritanisch, aber ich möchte nicht mit dem Ehemann einer anderen schlafen.
Ich dachte, das sei er mir schuldig.«
Natürlich war die ganze Geschichte letztlich komplizierter.
»Er ist jetzt frei. Mit solchen Problemen hättest du nicht mehr zu kämpfen. Wenn du ihn wirklich liebst, weiß ich ehrlich gesagt nicht, was dich zurückhält.«
»Ich bin zu feige«, gestand Carole niedergeschlagen. »Ich möchte nicht noch einmal verletzt werden. Lieber laufe ich weg, bevor es dazu kommt. Und es kommt immer dazu.«
»Das ist traurig«, sagte Stevie und sah ihre Freundin mitfühlend an.
»Das war es, als ich ihn vor fünfzehn Jahren verließ. Wir standen weinend am Flughafen. Aber ich hätte nicht bleiben können. Und jetzt gäbe es sicher andere Gründe, warum er mir nicht folgen kann: seine Kinder, seine Arbeit … Ich sehe nicht, dass er woanders als in Frankreich leben wird. Und ich will nicht hier wohnen, zumindest nicht die ganze Zeit.«
»Könnt ihr keinen Kompromiss finden?«, fragte Stevie, aber Carole schüttelte den Kopf.
»Es ist einfach besser, die Finger davonzulassen. Dann wird auch niemand enttäuscht oder meint, zu kurz zu kommen.« Sie hatte sich entschieden, und nichts würde ihre Meinung ändern. Stevie kannte das. Manchmal war Carole stur wie ein Maulesel.
»Dann willst du also den Rest deines Lebens mit deinen Erinnerungen allein bleiben und ab und zu die Kinder besuchen. Und wenn die ihre eigenen Familien gründen und keine Zeit mehr für dich haben, was dann? Du drehst alle paar Jahre einen Film – oder lässt du das auch sein? Du schreibst ein Buch, hältst hier und da einen Vortrag über etwas, das dich womöglich nicht einmal interessiert … Carole, das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.«
»Tut mir leid, dass du es so siehst. Für mich ergibt es Sinn.«
»Aber nicht mehr in zehn oder fünfzehn Jahren, wenn du verdammt einsam bist und all die gemeinsamen Jahre mit ihm verpasst hast. Möglicherweise ist er dann bereits tot, und du hast die Chance vertan, mit jemandem zusammen zu leben, der dich seit fast zwanzig Jahren liebt. Was euch beide vereint, hat sich in der Not und über die Zeit bereits bewährt. Warum also das Glück nicht am Schopf packen, solange es noch geht? Du bist jung und wunderschön, und als Schauspielerin hast du noch ein paar Jahre vor dir. Aber wenn das passé ist, wirst du allein sein. Ich möchte nicht mit ansehen, wie es dazu kommt.«
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Für ihn alles aufgeben? Aufhören, die zu sein, die ich bin? Keine Filme mehr drehen? Nicht mehr für die UN arbeiten? Herumsitzen und mit ihm Händchen halten? So wollte ich nie werden. Ich muss mich selbst achten und das respektieren, woran ich glaube. Wenn ich es nicht tue, wer dann?«
»Geht nicht beides?« Stevie wirkte frustriert. Sie wollte, dass es in Caroles Leben mehr gab als Wohltätigkeitsarbeit, hin und wieder einen
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