Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
ich jetzt durch meine Geschichte habe, möchte ich auch nutzen, um den Boxsport und dessen Werte nach vorne zu bringen, um ein Sprachrohr für das Boxen zu sein.
Dann werde ich eines Tages meine Karriere beenden – und werde sicher keinen großen Boxstall eröffnen. Nicht, weil ich nicht ans Boxen als Sport glaube, sondern weil ich von dem System enttäuscht bin. Ich habe die Boxwelt von allen Seiten kennengelernt, von den großartigen ebenso wie von den unfairen, ekelhaften, unmenschlichen. Ich will nicht zu denen gehören, die auch diese Seiten bedienen, aber wenn ich andere Sportler unter Vertrag nehme, müsste ich zwangsläufig auch in diesen Gewässern mitschwimmen. Ich müsste zumindest ein Stück weit sein wie alle anderen in der Branche, sonst würde ich untergehen. Die Verhandlungen mit den Verbänden können schmutzig sein, generell all die Absprachen, die im Hintergrund getroffen werden. Diese Art Geschäfte will ich nicht abschließen müssen. Schon als aktive Sportlerin musste ich kämpfen, um nicht wie alle anderen zu werden, als Promoterin müsste ich mich auch sehr hart durchsetzen. Mein Leben wäre weiterhin Aufregung, Chaos, Action pur. Ständig reisen, ständig unter Strom stehen. Das kann ich mir heute nicht vorstellen – denn ich sehne mich vor allem nach Normalität.
Beim Sport werde ich aber selbstverständlich bleiben. Meine Vision ist jedoch eine kleinere geworden: Ich stelle mir vor, eines Tages ein kleines Sportgym zu eröffnen. Nichts Großes, kein Profisport, kein Leistungsdruck. Jeder kann kommen, jeder seine individuellen Trainingsziele verfolgen: Wer boxen will, kann boxen, wer abnehmen will, kann mit dem Sport abnehmen, wer fit sein will, den kriege ich fit. Dieses Gym könnte ich auch sehr gut mit meiner Familie vereinbaren. Ich hätte feste Termine, feste Zeiten; es wäre gut zu organisieren.
Im Moment bin ich noch 365 Tage im Jahr Sportlerin. Doch das wird sich ändern. In meiner Zukunft wird es Feierabende und freie Wochenenden geben. Ich werde nicht mehr aufpassen müssen, was ich esse, wenn ich gerade in einer Wettkampf-Vorbereitung bin. Es wird möglich sein, auch einmal spontan über das Wochenende mit meinem Schatz zu verreisen, weil keine Termine und Veranstaltungen anstehen. Ich werde nicht mehr Monate im Voraus meine gesamte Zeit verplanen, darauf freue ich mich sehr. Auch ein leerer Terminkalender ist ein Stück Freiheit, das man sich erkämpfen muss. Freiheit heißt auch, spontan zu entscheiden, was man an einem Tag tun möchte. Ungebunden sein, einfach mal einen großen Eisbecher essen gehen – das ist der Alltag, von dem ich träume.
Reisen möchte ich, aber nicht mehr zu Wettkämpfen. Der Tag wird kommen, an dem ich in den Libanon fahre, um meine Verwandten von der Seite meines leiblichen Vaters kennenzulernen. Es gibt im Libanon Cousins und Cousinen, die sich nach dem 1. April 2011 bei mir gemeldet haben. Sie alle werde ich eines Tages sehen. Genau wie meine anderen Halbgeschwister. Mein leiblicher Vater hat im Libanon ein zweites Mal geheiratet und eine Tochter bekommen. Auch sie heißt Rola. Ganz und gar egal kann ich ihm also nicht gewesen sein. Irgendwann wird vermutlich auch die Zeit reif sein, um meinem leiblichen Vater wieder gegenüberzutreten. Ein wenig mehr möchte ich schon gerne wissen über das Land, aus dem meine Eltern kommen und die Menschen, mit denen ich verwandt bin. Wie sie denken, was sie fühlen, wie sie leben. Ich bin deutsch, aber diese Menschen im Libanon gehören auch zu mir.
Und nach Hawaii möchte ich eines Tages reisen. Hawaii ist ein Ort, von dem ich keine richtige Vorstellung habe, er ist ein wenig wie eine Fantasie. Ich denke bei Hawaii an Tänzerinnen und wunderbare Strände, an Traumwetter. Wie die Lebenseinstellung auf Hawaii ist, das Essen, das Leben, das weiß ich nicht. Trotzdem zieht es mich irgendwie dorthin, ans andere Ende der Welt. Vielleicht ist das die Insel der Seligen, die ich bisher noch nicht gefunden habe.
Erfolg ist mir weiterhin wichtig, aber auch Erfolg habe ich nach dem 1. April für mich anders definiert. Box-Weltmeisterin zu sein und eine gut laufende Firma zu haben ist selbstverständlich Erfolg. Es ist aber genauso Erfolg, eine tolle Familie und ein schönes Zuhause zu haben. Jeder muss für sich selbst erkennen, was Erfolg ist, denn dann kann auch jeder Mensch sehen, dass er erfolgreich ist. Jeder einzelne Mensch hat in seinem Leben schon etwas geschafft, auf das er stolz sein kann – nur wissen
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