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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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Berühmt bezweifle ich, aber mit dem Platzen hat er tatsächlich Recht. Auf der Rheinbrücke platzt mir nämlich der Kragen und ich kriege einen Schreikrampf. Klaus hält mir gerade zur Beruhigung die Flasche Sekt hin, als die Radarfalle ein schönes Foto von mir schießt. Immerhin: mein erstes Paparazzofoto.

37. Zahnarzt, die zweite
15. März 1986, 3 Uhr
    Wache mit heftigen Zahnschmerzen auf. Gehe ins Bad. Vor dem Spiegel öffne ich den Mund und schaue hinein. Der Anblick erinnert mich an Aufnahmen der Kölner Innenstadt nach der Bombennacht von 1942. Vielleicht sollte man mit dem Trümmerfeld meiner Zähne dasselbe machen wie seinerzeit mit der Kölner Innenstadt: abreißen. Denn selbst einem Laien wie mir wird beim Anblick der dunklen Stumpen in meinem Mund klar, dass hier eine Sanierung zwecklos ist. Außerdem müsste ich dann zum Zahnarzt. Und das geht nicht, denn ich habe als Kind geschworen, nie wieder eine Zahnarztpraxis zu betreten. Bis heute bin ich da sehr konsequent und werde es auch in Zukunft sein. Nicht etwa, weil ich Angst habe. Nein, aus Prinzip. Ich habe einfach keine guten Erfahrungen mit der Dentisterei gemacht. Punkt.
    Nehme zwei Aspirin und spül sie mit einem Glas Wasser runter, als eine Bombe in meinem Kopf platzt. Hätte nicht gedacht, dass einfaches, kühles Leitungswasser bei Kontakt mit meinen Zahnhälsen einen derartigen Flächenbrand in meinem Schmerzzentrum hervorrufen kann. Halte mich am Waschbecken fest und warte, bis der erste Sturm vorbei ist. Gehe ins Bett und versuche einzuschlafen.

4 Uhr
    Starre an die Decke und zähle meinen Pulsschlag. Das ist einfach, denn ich spüre ihn sehr deutlich in meinem Kiefer. Bei 5 400 versuch ich's noch mal mit Aspirin. Um meinen Zähnen den Kontakt mit Wasser zu ersparen, weiche ich die Tabletten im Mund ein und zerdrücke sie behutsam zwischen Zunge und Gaumen. Dann schieb ich den Tablettenbrei vorsichtig an der Wache meiner Zähne vorbei in die Speiseröhre. Es klappt. Jetzt kann ich bestimmt schlafen.
5 Uhr
    Renne in der Küche hin und her. Dabei stoße ich mir den kleinen Zeh. Für einen Moment überschattet der schmerzende Zeh die Ereignisse in meinem Mund. Die Buddhisten nennen das Schmerzübertragung. Ob man den Zahnschmerz auch auf etwas anderes als einen Zeh übertragen kann? Bücke mich, um nach meinem Zeh zu sehen. Als ich mich wieder aufrichte, stoße ich mir den Kopf an der Tischplatte. Ja, es klappt. Man kann den Schmerz auch auf andere Regionen übertragen.
6 Uhr
    Halte es fast nicht mehr aus und denke darüber nach, welchen Körperteil ich mir als nächsten stoßen soll. Vielleicht geh ich doch mal zum Zahnarzt. Ganz unverbindlich. Verwerfe den Gedanken sofort wieder. Bin doch kein Kind mehr!
7 Uhr
    Könnte heulen wie ein Kind. Da fällt mir ein Hausmittel von Mama ein. Gewürznelken. Wenn man Gewürznelken in einen faulen Zahn drückt, hören die Schmerzen auf. Reiße sämtliche Küchenschränke auf und suche verzweifelt nach Gewürznelken. Ich finde alles. Socken, Kondome, ein Osterei aus dem letzen Jahr, nur keine Nelken. Es ist zum Verzweifeln! MeinBlick fällt auf eine Muskatnuss, die während meiner Küchendurchsuchung auf den Boden gefallen ist. Warum soll eine Muskatnuss nicht dieselbe Wirkung haben wie eine Gewürznelke? Muss die Muskatnuss nur zerkleinern. Natürlich findet sich in meiner Küche auch kein Nussknacker. Es hilft nichts. Stecke mir die Nuss komplett in den Mund und zähle bis drei. Dann beiße ich todesmutig zu.
9 Uhr
    Werde wach. Liege benommen auf dem Küchenboden. Muss wohl ohnmächtig geworden sein. Warte, bis sich mein Verstand zurückmeldet. Leider sind die Zahnschmerzen schneller wieder da als mein Verstand. Betrachte das Schlachtfeld in meiner Küche. Bruchstückhaft setzt die Erinnerung wieder ein. Denke nach. Schmerz findet im Kopf statt. Fakt. Er ist also gar nicht richtig vorhanden, sondern der Kopf sagt einem, dass was wehtut. Fakt. Wenn man dem Kopf nun mitteilt, er solle sich gefälligst um andere Sachen scheren, wären die Schmerzen weg. Fakt. Beschließe, es mit Selbsthypnose zu probieren. Bastele mir aus einer Muskatnuss, die komischerweise auf dem Küchenboden liegt, und einem Bindfaden ein Pendel. Gehe ins Bad, stelle mich vor den Spiegel und lasse die Nuss vor meinem Gesicht hin und her pendeln. Dabei wiederhole ich immer denselben Satz. »Du hast keine Zahnschmerzen. Du hast keine Zahnschmerzen.« Die pendelnde Nuss hat tatsächlich eine hypnotische Wirkung auf mich, denn nach ein paar

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