Steife Prise
würde. Bei den Gästen handelte es sich in erster Linie um Angehörige einer bestimmten Klasse, die zwar auf dem Land wohnten, aber gewissermaßen nicht von dort stammten. Pensionierte Soldaten, ein Priester aus Om, Fräulein Pingel, eine alte Jungfer mit ihrer Gefährtin – einer streng aussehenden Dame mit kurzem Haar sowie einem Männerhemd und einer Taschenuhr –, und, ja, auch Fräulein Felizitas Kefer. Mumm glaubte schon, in ein Fettnäpfchen getreten zu sein, als er sie mit den Worten »Aah, die Kaka-Dame« begrüßte, aber sie hatte nur laut gelacht, ihm die Hand gegeben und dabei gesagt: »Keine Bange, Euer Gnaden, ich wasche sie immer sorgsam nach dem Schreiben!« Alle amüsierten sich köstlich. Fräulein Kefer war eine kleine Frau und gehörte zu den Leuten, die, selbst wenn sie absolut still standen, immer leicht zu vibrieren scheinen. Als würde sie ihre aufgestaute Energie, sobald eine innere Fessel gelöst würde, sofort aus dem nächstbesten Fenster hinauskatapultieren.
Fräulein Kefer stupste ihm den Zeigefinger in den Bauch. »Und Sie sind der berühmte Kommandeur Mumm. Sie wollen uns doch jetzt nicht alle festnehmen, oder?«
Solche Bemerkungen musste man sich immer wieder anhören, wenn man Sybil nicht daran hinderte, Einladungen zu immer neuen Festivitäten der feinen Gesellschaft anzunehmen oder auszugeben. Aber während Fräulein Kefer noch lachte, senkte sich ein eisiges Schweigen über die anderen Gäste. Sie alle starrten Fräulein Kefer finster an. Die wieder hielt ihren Blick nun aufmerksam auf Mumm gerichtet, und der kannte diesen Gesichtsausdruck. Es war der Gesichtsausdruck von jemandem, der eine Geschichte loswerden wollte. Momentan war jedoch gewiss nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas, deshalb legte Mumm seine Beobachtung unter »interessant« zu den Akten.
Entgegen allen Besorgnissen von Seiten Mumms brachte Gut Käsedick ein verdammt gutes Abendessen auf den Tisch, und – was weitaus wichtiger war – die allgemeinen gesellschaftlichen Verkehrsregeln zwangen Sybil, ein Menü zu genehmigen, das zu Hause nie und nimmer auf den Tisch gekommen wäre, selbst wenn Mumm wiederholt darum gebeten hätte. Sich als Richterin über den Geschmack des eigenen Mannes zu erheben war eine Sache, das Gleiche gegenüber seinen Gästen zu tun kam nicht in Frage.
Ihm am Tisch gegenüber wurde gerade ein pensionierter Militär von seiner Frau darüber belehrt, dass er, auch wenn er selbst vom Gegenteil überzeugt war, eingelegte Garnelen überhaupt nicht mochte. Vergeblich und mit recht schwachen Worten protestierte der Mann dagegen, was ihm die Erwiderung einbrachte: »Schon möglich, Karli, dass du eingelegte Garnelen magst, aber sie mögen dich auf gar keinen Fall.«
Mumm fühlte mit dem Mann mit, der ziemlich verdutzt dreinschaute und sich fragte, wie es so weit hatte kommen können, dass er sich sogar unter den niederen Krustentieren Feinde gemacht hatte. »Also, ähm, wie sieht’s denn mit Hummer aus, Liebes? Mögen die mich?« In seiner Stimme schwang nicht mehr allzu viel Hoffnung mit.
»Nein, mein Schatz, Hummer kommt überhaupt nicht mit dir zurecht. Hast du schon vergessen, was auf dem Whist-Abend bei den Bittersilchs letzte Woche passiert ist?«
Der Mann blickte auf die völlig überladene Anrichte und versuchte es erneut: »Ob sich die Jakobsmuscheln vielleicht ein paar Minuten mit mir vertragen würden?«
»Um Himmels willen, Karli, natürlich nicht.«
Ein letzter sehnsüchtiger Blick auf die Anrichte. »Dafür ist der grüne Salat vermutlich mein Busenfreund, stimmt’s, Liebes?«
»Aber ja doch, mein Guter!«
»Das habe ich mir schon gedacht.«
Der Mann blickte Mumm an, grinste bar jeder Hoffnung und sagte dann: »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Euer Gnaden Polizist sind. Stimmt das?«
Erst jetzt sah Mumm ihn sich genauer an: ein bärtiger alter Krieger, der sein Gnadenbrot fraß – höchstwahrscheinlich das Einzige, was seine Frau ihm ohne Widerworte gönnte. Er trug Brandnarben im Gesicht, und sein Zungenschlag klang nach Pseudopolis. Der Rest war einfach. »Und Sie dürften bei den Leichten Drachonern gewesen sein?«
Der Alte sah ihn erfreut an. »Sehr gut, junger Mann! Nicht viele erinnern sich noch an uns. Ja, ich bin der Letzte, der noch übrig ist. Oberst Karl-August Friedensreich – ein seltsamer Name für einen Militär oder vielleicht auch nicht, was weiß ich.« Er hob witternd die Nase. »Wir sind nicht mehr als eine angekokelte Seite im
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