Steile Welt (German Edition)
anzutreten und somit den Geschäftsführer für längere Zeit ganz für sich beanspruchen zu können. Man wechselt im Hinblick auf den Wetterumschwung ein paar Worte über die garstige Witterung. So wird ein Anfang gemacht und der Einstieg für ein Gespräch geschaffen sein. Die zugeknöpfte Art des Ladenbesitzers steht nicht mit dem Temperatursturz in Zusammenhang, denn wie man bereits erfahren hat, trägt der Mann, der stets in handgewobenem Kittel hinter der Theke steht, sein Herz nicht auf der Zunge. Man hat sich deshalb also schon im Vorfeld, durch die Wasserströme ins hintere Dorf watend, ein paar Fragen zurechtgelegt, um nicht bereits die Ansätze eines Gesprächs an der Zurückhaltung scheitern zu lassen. Oder an der fehlenden Gemütlichkeit in dem Lokal. Dort drinnen ist es nämlich ziemlich düster. Nicht einmal strahlender Sonnenschein vermag die hinteren Winkel zu erreichen, was für die Frische der Produkte sicher von Vorteil ist. Ein kleiner Elektroofen hinter dem Tresen versucht die mangelnde Wärme während der Stunden des Wartens auf Kundschaft notdürftig zu ersetzen. Der Käsegeruch vor der Nase und das Waschpulver im Rücken vermögen die lange Weile jedoch kaum zu vertreiben.
«Es gibt ja hier immer etwas zu tun, auch wenn grad niemand im Laden ist. Die Kontrolle der Lebensmittel, also die Inventur, wie man das eigentlich nennt, kann ich meistens während der Öff nungszeiten vornehmen. Da muss ich also nicht noch zusätzlich Zeit aufwenden. Ebenso die Bestellungen. Da reicht ein Anruf, und der Lieferant passt seine Ladung an. Es ist natürlich sehr unterschiedlich, wie viel Ware ich brauche. Es hängt von der Jahreszeit, aber auch vom Wetter ab. Mit der Zeit bekommt man ein Gespür dafür. Früher hatte ich immer Angst, dass mein Angebot nicht ausreichend wäre. Heute weiss ich, dass die Leute, die hierher kommen, nicht so umständlich und kompliziert sind. Wenn etwas nicht da ist, so nehmen sie halt etwas anderes und sind damit auch zufrieden. Vermutlich ist es ja so, dass manche Gäste, wenn sie hier eintreffen, die Lebensmittel zum grössten Teil schon dabei haben. Das kommt halt günstiger. Denn mit Coop- und Migros-Preisen kann ich natürlich nicht mithalten. Aber ich habe auch Kundschaft, die ausschliesslich hier einkauft. Darum bemühe ich mich, qualitativ hochwertig zu sein. Salametti und Käse beispielsweise, oder Honig aus dem Tal. Ich muss anbieten, was sonst nicht zu bekommen ist. Sicher habe ich auch manches an anderen Esswaren im Angebot. Obst und Gemüse wird viel eingekauft, weil man das ja schlecht mitbringen und lange aufbewahren kann. Das verdirbt einfach zu schnell. Aber eben auch hier bei mir. Darum bestelle ich solche Sachen lieber etwas knapp. Mit meiner Familie kann ich zwar einiges auffangen und das verbrauchen, was nicht mehr verkauft werden kann, aber auch das hat seine Grenzen.
Die jahrelange Erfahrung hat es nun mit sich gebracht, dass mein Angebot an Nahrungsmitteln mit der momentanen Nachfrage nicht schlecht übereinstimmt. Einfacher ist es mit den Haushaltsartikeln. Die halten sich länger. Bei denen ist es halt wichtig, dass man ein umfassendes Sortiment hat.»
Vom Ameisenköder bis zur Zimtstange findet sich hier alles. So klein der einzelne Raum auch ist, auf den Regalen, die bis zur Decke reichen, reiht sich Glas an Packung, Flasche an Beutel, und die Auswahl lässt kaum Wünsche offen. Nur Frischfleisch gibt es keines. Und tropische Früchte oder Kosmetika. Das widerspräche der Ideologie. Äpfel, Birnen und Nivea. Das muss reichen. Tut es auch.
«Es war weniger Absicht als vielmehr der Zufall, der uns hierher geführt hat. Es ist nicht so, dass wir gesagt hätten, ja genau, das Onsernonetal ist es, da wollen wir hin, dort möchten wir gerne leben. Wir hatten dieses Tal ja nicht einmal richtig gekannt, bis auf einige Geschichten aus den paar Erzählungen eines Freundes. Zu fünft, meine Frau, ich und unsere drei Kinder, suchten wir nach einem geeigneten Ort, an dem sie, die Kinder, die damals alle noch sehr klein waren, dann später die Schule besuchen könnten, nach einem Ort, an dem wir uns für einige Zeit hätten niederlassen wollen. Wir waren ziemlich offen bei dieser Suche. Und unabhängig. Meine Frau arbeitete selbständig als Weberin, und ich war ohne Ausbildung, nur mit der Matur, konnte also nichts – oder aber alles. Unsere Ansprüche waren keine grossen. Einzig ländlich musste sie sein, unsere neue Umgebung.
Eben dieser eine Freund lud uns
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