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Steile Welt (German Edition)

Steile Welt (German Edition)

Titel: Steile Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Stauffer
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bewusst sein. Darum muss man auch im Alter schauen, dass man beweglich bleibt. Solange man die Treppen noch schafft, ist man unabhängig. Für die Arbeiten, da kann man jemanden kommen lassen, wenn es nicht mehr geht. Sich aber nicht mehr selbständig und frei im Tal bewegen zu können, das kann ich mir nicht vorstellen. Am Sonntag ins Auto sitzen, hier und dort einen Schwatz halten so wie heute, das muss schon sein.»
    Ein weiteres Glas kommt auf den Tisch. Inzwischen sitzt man auf der Terrasse des Ristorante im Schatten der alten Eschen. Die neugierigen Blicke von den Nachbartischen steigern das Ansehen. Das Balzverhalten hält sich jedoch in Grenzen. Zu Hause wartet die Frau. Das weiss hier nun jeder. Geselligkeit wird grossgeschrieben, zumindest unter Männern. Keiner kommt davon, ohne angeredet zu werden. Der Lufthauch treibt das Windrad oben auf der Stange an, die Getränke lösen die Zunge. Lachen wird laut und die Einsamkeit leise.
    Der Nachbar macht seinen Gang durch den Garten, geht von Tisch zu Tisch, schüttelt hier eine Hand, klopft da auf eine Schulter mit der Gewissheit, sich in den nächsten Tagen andernorts zu sehen und eine gemütliche Runde weiterzukommen.
    «Komm, fahren wir zurück. Schau, da vorne, auch hier war einmal ein Restaurant, das Schild hängt noch über der Tür. Das hat schon seit ein paar Jahren nicht wieder aufgemacht im Sommer. Jedes Dorf hatte sein Ristorante oder sogar zwei. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie es da früher zuging. Wenn die Männer von der Arbeit kamen oder sich nach dem Abendessen trafen zum Kartenspiel. Das war ein Kommen und Gehen, ein Singen und Lachen und Lamentieren. Nun kommen nur noch wenige abends von der Arbeit. Und die gehen dann lieber heim zu ihrer Frau und den Kindern. Damit sie auch noch etwas haben vom Vater. Die wenigen Alten, die noch aus dem Haus gehen, treffen sich an den wenigen Orten, wo es noch möglich ist.
    Auch im oberen Dorf war ein zweites Ristorante. Das wurde von einer Frau geführt. Meist allein. Natürlich hatte sie auch Frauen aus den Dörfern, die ihr halfen, wenn viele Gäste zu erwarten waren. Alle, die in der Umgebung gearbeitet haben, gingen dort zum Essen. Oder es gab Feste. Die fanden im grossen Salone statt. Da hatte es noch Leute! Die Familien kamen mit ihren Freunden, Jung und Alt trafen sich zum Essen und Feiern. Sie hat gut gekocht, diese Wirtin. Dann hat sie aufgehört zu essen und Tabletten gegessen. Das geht halt nicht zusammen. Dann konnte sie nicht mehr. Sie war aber auch schon über achtzig.
    Dort, in ebendiesem Dorf, haben sie dieser Tage alles herausgeputzt. Gut, es ist immer sauber, da oben. Aber jetzt haben sie auch alles neu gestrichen. Am Sonntag ist Festa della Madonna. Eine Prozession. Das gibt es nur noch selten. Es kommt ja niemand. Früher gab es das regelmässig, immer im Oktober. Jetzt hat man den Termin auf den Juli verschoben, wenn am meisten Leute hier sind.
    Zweimal in der Woche ist Messe in der grossen Kirche. Am Freitag und natürlich am Sonntag. Am Freitag gehen nur wenige hin. Die Kirche ist unter der Woche abgeschlossen. Es hat wertvolle Gegenstände da drin. Kerzenstöcke aus Silber oder Gemälde beispielsweise. Die würden gestohlen, liesse man die Türe offen. Nicht nur nachts. Solche kommen sogar mitten am Tag.
    Es wird sehr auf die Sauberkeit geschaut hier im Tal. Die Gemeinde pflegt die Treppen und Wege, mäht am Strassenrand das Kraut. Die Strasse muss immer instand gehalten sein. Im Winter wird bereits am frühen Morgen Schnee geräumt, damit das Postauto passieren kann. Manchmal sind die Gemeindearbeiter den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt, als den Schnee zu beseitigen. Von oben nach unten und dann wieder von vorne. Manchmal gibt es solche Winter.
    Die Gartenabfälle, Laub und so, das werfen wir in die Schlucht hinunter. Alles andere wird sauber getrennt und entsorgt. Jedes Dorf hat seine Sammelstelle. Zweimal im Jahr ist Sperrgutabfuhr. Da siehst du Sachen. Halbe Haushalte stehen an der Strasse, schon zwei Wochen im Voraus. Aber fast genau so viel, wie hingestellt wird, wird auch wieder weggenommen, von solchen, die so was noch brauchen können. Am Schluss bleibt dann wirklich nur noch das Gerümpel übrig. Du kannst auch während des Jahres Sachen an die Strasse stellen. Nach einer Stunde, maximal nach zwei Tagen ist es weg. Fast alles wird hier ein zweites oder drittes Mal verwendet. Ich habe schon manches gefunden, das ich noch gut brauchen konnte. Bretter

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