Steile Welt (German Edition)
für meinen Schuppen, Fensterscheiben, Beschläge, einmal sogar eine alte Uhr. Die lief noch gut. Ich machte ihr einfach ein neues Gehäuse.
Der Laden im obersten Dorf verkauft alles, was man zum Leben braucht. Und nicht einmal zu überhöhten Preisen. Der Bäcker kommt jeden Tag mit frischem Brot, aber halt erst am Mittag. Am Freitag kommt der Metzger. Aber nur bis in die Mitte des Tals. Dann muss man runterfahren auf den Dorfplatz und auf ihn warten. Aber er hat gutes Fleisch und immer alles frisch. Trotzdem gehen wir einmal in der Woche runter in den Supermarkt, und man deckt sich ein mit allem, was so gebraucht wird. So muss meine Frau dann unter der Woche nicht mehr aus dem Haus.
Dort, wo dein Haus steht, war früher nur eine Ruine. Einer aus der Deutschschweiz hat dann das Nachbarhaus und dein Grundstück gekauft. Hat zuerst das bestehende Haus ausgebaut und dann nebenan ein neues aufgebaut. Er hatte seine ganz eigene, spezielle Art zu bauen. Hatte eine Vorliebe für Spiegel und Glas. Mitten in dem neu gebauten Haus liess er einen Baum stehen. So etwas hatte man hier noch nicht gesehen. Das gab zu reden. Im Verlauf der Zeit ging ihm aber das Geld aus. Zum Glück hat ihm aber einer aus dem Dorf ab und zu Arbeit gegeben. Hat ihn aber immer erst nach Fertigstellung ausbezahlt. Sonst wäre das wohl nichts geworden. Er hatte da seine ganz eigene Mentalität: Komme ich nicht heute, dann vielleicht morgen. Aber dieses Denken haben noch so manche, auch hier. Er ging dann in Konkurs. Hatte einfach zu viel Geld aufgenommen. Zwanzig Jahre muss das jetzt wohl her sein. Eine gute Arbeit, was sie jetzt bei dir gemacht haben. Nach ganz anderer Manier. Das gibt es eben auch noch, das gute Handwerk.
Im August wird zwei Wochen nicht gearbeitet. Man darf gar nicht. Auch nicht für sich. Das wird kontrolliert, und wenn sie dich erwischen, musst du eine Busse bezahlen. Wenn also einer an seinem Haus etwas ausbessern will, muss er aufpassen, dass er nicht gesehen wird. Heute sieht man das vielleicht nicht mehr so streng. Früher musste aber der Ferragosto eingehalten werden.
1978 gab es das grosse Unwetter. Wie ein Tornado kam der Sturm das Tal herabgefegt, und Mengen von Wasser hat er mitgebracht, das kann man sich gar nicht vorstellen. Hier im Dorf wurde ein halbes Haus vom Erdrutsch mitgerissen. Die andere Hälfte blieb stehen, fast unversehrt. Wie durch ein Wunder ist der Frau darin nichts passiert. Sie konnte aus dem Fenster steigen. Ein anderer Bewohner war auf dem Heimweg. Den Weg hoch und die Treppen. Zu Hause schaute er aus dem Fenster. Der Weg und die Treppe verschüttet unter der umgestürzten Mauer, da, wo er vor einer Minute durchgegangen war. Die Strasse konnte nicht mehr passiert werden, weil Brücken weggeschwemmt worden waren. Das obere Tal, das es am meisten erwischt hatte, war abgeschnitten vom Rest der Welt. Das Nebental wurde ganz überschwemmt. Da stehen die Häuser ja unten auf der Ebene, wo auch der Fluss fliesst. Dieser hat sämtliche Häuser mitgerissen und zerstört. Nur die Häuser an den Hängen blieben verschont. Das war eine richtige Katastrophe hier. Diese ungebremste Naturgewalt aus nächster Nähe zu erleben, war ein Ereignis, das sich einem für immer und ewig einprägte. Da bangte man wirklich um sein Leben und realisierte, wie klein und machtlos der Mensch in Wirklichkeit ist. Im Gegensatz zur Natur.
Aber es ist genau diese Natur, die mir gefällt. Hier oben fühle ich mich ihr zugehörig und zu Hause und hoffe, dass ich noch ein paar gute Jahre vor mir haben werde.»
So steigt man aus und mit den wandermüden Beinen die letzten Treppen hoch. Der Chauffeur zieht noch ein paar Häuser weiter. Irgendwo sitzt sicher eine weitere Gesellschaft beisammen. Noch steht zu Hause das Essen nicht auf dem Tisch.
capelón
Eine taubengraue Wolkenwalze überrollt das Tal. Das Donnergrollen springt von Talseite zu Talseite und wieder zurück. Blitzlichter, erst ein Flackern hinter dem Berg, kurz darauf zeitgleich mit dem Donnerknall. Dann bricht die Sintflut los. Das Prasseln auf dem Dach und an die Fenster dämpft das Getöse des Donners nur bedingt. Ohren zu und durch. Das Licht geht aus, kommt wieder, ist dann aber endgültig weg.
Kerzen sind bereitzuhalten.
So geht man mit der Taschenlampe zu Bett und wundert sich am Morgen, dass im ganzen Haus die Lichter brennen. Wenigstens die Sorge um ein Erwachen ohne Kaffee ist hinfällig.
Das Tal hat sich gewaschen. Die Hänge erstrahlen unter den ersten
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