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Steile Welt (German Edition)

Steile Welt (German Edition)

Titel: Steile Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Stauffer
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Kinderspiel, bis sich die Fahrbahn immer häufiger verengt, und spätestens an der schmalen Brücke mit dem rostigen Geländer, die sich über die tiefe Schlucht spannt, wird man sich des Abenteuers bewusst, das diese Bergfahrt der Fahrerin nach fast drei Stunden rasanter Autobahnfahrt bietet. Der Einlass ins Tal ist nicht gratis. Die Fahrt gleicht einem Eintrittsritus, den es, nicht unbedingt angstfrei, so doch zielbewusst, zu bestehen gilt.
    Die einundsiebzig Kurven bis Auressio schmiegen sich an die Bergflanke. Links die Felswand, in den Tönen Hellgrau und Dunkelviolett variierend, bewachsen mit harten Grasbüscheln, Ginster und Erika, links der Abgrund. Dazwischen wenig Sicht auf das, was kommt, was entgegenkommt. Das Postauto ist nicht die grösste der Herausforderungen. Breiter sind die Transportlaster, die sich mit ihren tonnenschweren Granitblöcken auf dem Rücken talwärts wälzen. Hupend bedanken sich eilig drängelnde Kundige fürs Überholenlassen. Sie verschwinden geschwind hinter der nächsten Kurve und verlieren sich im Hang.
    Mit jeder weiteren Fahrt kennt man die kritischen Stellen. Das dunkelgrüne Auto hinter der letzten langgezogenen Kurve vor Auressio steht auf der eigenen Fahrbahn und zwingt zu einem abrupten Ausweich oder Bremsmanöver, je nachdem. Jedes Mal. Man würde sich wundern, wenn es plötzlich fehlte. Nach dem Dorf geht es leicht abwärts, Richtung Schlucht, über die Brücke und auf der anderen Seite steil bergan nach Loco. Die mächtige Kirche des Orts zeigt sich der Ankommenden bereits seit der Gegenseite. Achtunddreissig Kurven insgesamt, im Winter, bei Glatteis ein zusätzlicher Schwierigkeitsgrad. Im Ort kaum Platz zum Fahren. Die Strasse ist gesäumt von geparkten Wagen, die Ausweichmöglichkeiten sind rar. Man fragt sich, wo die Menschen alle sein mögen. Ein paar von ihnen sitzen an den Tischen auf dem winzigen Plätzchen vor der Bar, im Schatten der sich eng gegenüberstehenden Häuser. Das Museum wirbt mit Frisch, der Bäcker am nächsten Ortseingang mit ebensolchem Brot. Ein Dutzend Kurven weiter die Abzweigung nach Berzona, dem einzigen Dorf, das nicht die Strasse säumt, sondern oben am Hang thront. Der Kirchturm und Villen zeigen sich zwischen dem Laub der Bäume, Palmen und wildem Wein. Nochmals dreizehn Kehren, und man fährt durch Mosogno, eine langgezogene Gerade, welche sich bei der Kirche derart verengt, dass an den Hauswänden beidseitig Schleifspuren von Autoseiten zu vorsichtiger Durchfahrt gemahnen. Siebenunddreissig Kurven weiter der Dorfplatz von Russo, wo das Postauto gewechselt werden kann, wo sich noch Dorfleben abspielt. Hier unter den Lauben, beflaggt mit Schweizer Fahnen, sitzen die Beobachter an den Tischen des Ristorante und begutachten jedes passierende Gefährt samt Inhalt. Die Kommentare in Dialekt bleiben besser unverstanden. Abwärts geht’s weiter um neunzehn Kurven zum Ponte Oscuro, wo sich die Strasse verzweigt, links ins Vergeletto, rechts über die Brücke weiter talaufwärts Richtung Crana. Die dreiundvierzig Kurven überwinden hundertfünfzig Höhenmeter, hundert allein in den vier beeindruckenden Haarnadelkurven. Am Strassenrand immer wieder die Stationen der Transportseilbahnen, ihre Drahtseile sich bergwärts im Wald verlierend oder auf die andere Talseite führend. Nach neunundzwanzig Kurven ist man in Vocaglia angekommen. Der Parkplatz ist halb leer, wie fast immer.
    Ambitionierte Radfahrer und Sonntagsausflügler sind immer noch nicht am Ziel. Nach weiteren dreizehn engen und unübersichtlichen Kurven Corbella. Hupen wird unumgänglich. Ausgangs des Dorfes sieht man bereits am gegenüberliegenden Hang in der Höhe die Barca unter dem Sasso thronen. Neugierig reckt sie ihr Türmchen in die Höhe. Zwölf Kehren, dann Comologno, das prunkvollste aller Dörfer, und nach sechzehn weiteren endlich Spruga. Endstation. Hier ist der Wendeplatz. Den verspannten Nacken strecken und tief durchatmen. Auf die Brücken hat man nicht geachtet. Die wären ausserdem zu zählen.
    Es gibt kein Weiter, es sei denn zu Fuss. Wegweiser zeigen in die Höhe oder bergab Richtung Bagni. Ein sich angenehm talabwärts ziehender Pfad führt einen nach halbstündigem Marsch an die Grenze. Nach Italien.
    «Ein gutes Auto, das ist mir wichtig. Nicht so ein Rennwagen, aber der Motor muss schon stark genug sein, wegen der Steigung. Es ist von Vorteil, wenn es klein ist, wegen dem Ausweichen und Kreuzen. Ich überlegte mir auch schon, eines mit Allradantrieb zu

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