Steile Welt (German Edition)
habe ich nur zwei Angestellte. Es ist kein so gutes Jahr. Mein Maurer wird demnächst pensioniert. Das ist schade, denn der versteht noch etwas von seinem Handwerk. Der macht Mauern fast ohne Hilfsmittel. Baut aus alten Steinen wieder neue Mauern. Alte Steine gibt es ja viele aus den zusammengestürzten Alphütten oder Ställen. Die haben auch bereits die richtige Form. Nur darf man die nicht einfach nehmen, sondern muss erst den Besitzer ermitteln und ihm die abkaufen. Dann werden die Steine zu der neuen Baustelle transportiert. Erst zu Fuss an die Strasse getragen, mit dem Laster ein Stück geführt und dann, weiter oben oder unten, von der Strasse wieder zur neuen Baustelle geschleppt. Das gibt zu tun. Die jungen Arbeiter sind da viel anspruchsvoller was die Arbeitsbedingungen betrifft. Die wollen moderne Werkzeuge und Transportgeräte. Heute ist man nicht mehr bereit, alles selber zu tragen. Man achtet mehr auf seine Gesundheit. Für solche Anschaffungen aber fehlt mir das Geld. Also kann ich nur Leute anstellen, die noch nach alter Manier arbeiten können und wollen. Nämlich vorwiegend von Hand. Grössere Aufträge kann ich darum schon gar nicht annehmen. Dann gilt es auch immer abzuwägen, ob einer auch zahlungsfähig ist. Wenn du nämlich eine Arbeit gemacht hast und die Rechnung wird nicht bezahlt, musst du trotzdem die Löhne der Männer zahlen. Das wird dann schwierig.
Wer hier im Tal etwas Grösseres bauen will, muss eine Firma von unten beauftragen, welche die nötigen Maschinen und Kräne zur Verfügung hat. Dann wird es teuer. Die ganzen Transporte und Anfahrtswege werden verrechnet. Das geht ins Geld.
Weggehen war für mich nie eine Option. Das ist für mich eine Flucht vor den Lebensumständen. Wenn man vor etwas flieht, dann nimmt man seine Last mit. Ob man dann an einem fremden Ort damit besser umgehen kann, ist die Frage. Um Wegzugehen, braucht es einen Plan, eine Absicht. Und die Aussicht auf eine Anstellung. Ich bin einer, für den es immer klar war, zu bleiben und mit dem auszukommen, was vorhanden ist. Natürlich ist es hier härter, ein Auskommen zu haben. Aber das weiss man, seit man denken kann. Mir ist es wichtig, dass mein Land und meine Häuser intakt bleiben, indem ich alles selber bewirtschafte.
Geheiratet habe ich nie. Als es vor langer Zeit einmal soweit zu sein schien, ist meine Verlobte an einem Tumor im Kopf gestorben. Vielleicht habe ich das zu sehr als Zeichen des Schicksals angeschaut. Vielleicht ist aber einfach auch nie mehr die Richtige dahergekommen. Es ist nicht einfach, eine Frau zu finden, die bereit ist, unter diesen Umständen zu leben. Den ganzen Tag zu arbeiten und es doch nie so recht auf einen grünen Zweig zu bringen. An Zweisamkeit gibt es auch nicht viel. Ich bin den ganzen Tag unterwegs, und wenn ich am Abend heimkomme, bin ich oft so müde, dass ich nicht einmal mehr die Tagesschau sehen kann. In der Nacht kann ich dann oft nicht mehr schlafen, weil der Rücken wehtut. Ja, es ist anstrengend.»
Die blauen Augen so hell und klar wie die Stimme. Die verschmitzte Frohnatur überdeckt seine Verletzlichkeit. Er ist viel zarter besaitet als die ungehobelte und raue Oberfläche einen glauben machen will. Das Schwierige wird als einfach dargestellt, das Schwere als leicht. Das Talleben gibt Halt, das dauernde Unterwegssein hält beweglich. Die Arbeit ist ihm immer einen Schritt voraus. Kaum dass er hinterherkommt. Dennoch ist immer Zeit zum Innehalten. Die Geselligkeit ist ebenso wichtig wie die Verpflichtungen. Durch Kontakte werden viele Aufträge hereingeholt, der Kampf ums Einkommen wird oft beim Zusammensitzen ausgefochten. Der Bauchansatz macht dies deutlich. Doch weitere Vergnügungen und Ablenkungen sind hier eben rar. Die Zeche zahlt man oft mit Dienstleistungen und nachts im Bett mit schmerzenden Gliedern. Doch solange einer noch jeden Morgen in einer halben Stunde aufs Ligunci steigt, ist er bei bester Gesundheit.
«Im oberen Dorf steht mein Elternhaus. Das ist leer. Vermieten kann ich es nicht, dafür ist es in einem zu schlechten Zustand. Die Leute wollen heute einen gewissen Komfort. Diese Investitionen kann ich mir nicht leisten. Noch will ich es nicht verkaufen, es hängen zu viele Erinnerungen dran. Es ist überhaupt ein Problem mit diesen vielen unbewohnten Häusern, die langsam kaputtgehen. Meistens gehören sie verschiedenen Parteien. Die können sich nicht darauf einigen, ob man ein Haus nun verkaufen will oder ob es behalten werden soll.
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