Steile Welt (German Edition)
überlassen. Man schaut nach ihnen, jeden Tag. Ich stehe um vier Uhr auf, fahre mit dem Auto vom Nebental hier herüber und steige auf den Berg. Manchmal ist es noch dunkel. Eine halbe Stunde brauche ich. Ich kontrolliere, ob sie alle da sind und ob ihnen etwas fehlt. Dann lasse ich sie wieder allein. Zäune gibt es keine. Die Herde entfernt sich nicht allzu weit von ihrem Stall. Dort finden sie Unterschlupf bei Gewittern und Schutz vor den Fliegen und der Hitze. Ist der Sommer schlecht, muss man Heu dazukaufen. Das kostet, und wenn man dann noch den Transport dazurechnet, kosten die Tiere mehr als sie einbringen. Im November gehe ich mit ihnen wieder hinaunter ins Tal. Es kommt ein bisschen auf das Wetter an. Schnee macht den Kühen nichts aus. Gefährlich ist es, wenn die Wege schon vereist sind. Dem muss man zuvorkommen. Oder abwarten, dass die Tage wieder etwas wärmer werden. Sonst rutschen sie aus und stürzen ab. Es ist ja schon recht felsig. Der Weg zieht sich über drei Kilometer. Meistens ist das keine Sache und geht problemlos. Unten stellt sich dann heraus, ob man die Kälber gut verkaufen kann. Das ist gar nicht so einfach. Es gibt keine Konkurrenz mehr. Ausser die der Mastbetriebe. Aber das kann man ja nicht vergleichen. Das ist ein ganz anderes Fleisch. Kann auch viel günstiger verkauft werden, da es zu anderen Bedingungen und in viel grösseren Mengen produziert wird. Es hat sich immer gut ausgewirkt auf die Geschäfte, wenn andere das gleiche machten wie man selber. Und dann verglichen wurde. Da kommt heute keiner und will dir ein gutes Kalb abkaufen, weil deine die besten oder gesündesten sind. Kein Metzger, der sich die Tiere anschaut und dir einen guten Preis macht für ein schönes Tier. Sogar zum Schlachten musst du selber fahren, und das weit.»
Zwei Dörfer weiter vorne wird gehalten. Man ist am Ziel, aber noch nicht am Ende. Die Einladung zum Kaffee wird angenommen. Mit Zurückhaltung. Die ist nicht gespielt. Plötzlich wird er schüchtern, der sonst in Gesellschaft am lautesten plappert, mit seiner hellen, klaren Frauenstimme. Wenn er Dialekt redet unter Seinesgleichen, versteht man nur noch Nähmaschine. Staccato. Mit Zierstich, versteht sich. Die Wörter werden lückenlos aneinandergereiht, gestochen scharf, mit Schnörkeln und Verzierungen.
Jetzt wird die Stimme leise, jede Bewegung umständlich. So wird eine Plexiglasscheibe aus dem Kofferraum geholt, eine gebrauchte, vielleicht ein Stück aus einem Kühlschrank. Es gilt noch zwei Fensterchen einzupassen in der Nachbarschaft. Die alten sind bei der Renovation zu Bruch gegangen. In dem Augenblick wird man gewahr, mit welchen Mitteln hier gekämpft wird. Und warum die Sperrmüllablage immer wieder geleert wird, noch vor dem Abfuhrtermin. So passiert die Wiederverwertung, und so passiert es wieder, dass man beschämt wird durch die Tatsache, dass es hier kaum etwas Unnützes gibt. Wie einem die eigene, manchmal doch recht verschwenderische Art vor Augen geführt wird, macht nachdenklich. Doch dafür ist nachher noch genug Zeit.
Bier wird dann doch vorgezogen. Man setzt sich ins Haus, will sich vielleicht lieber nicht den Blicken aus den Nachbarfenstern ausliefern.
«Dann sind da auch noch die Esel. Zweiunddreissig Stück sind es zurzeit. Früher habe ich die Mütter mit den Jungtieren separiert, damit die Hengste ihnen nichts machten. Jetzt habe ich die Hengste kastriert. Die Zucht bringt nichts mehr, es gibt kaum mehr Abnehmer für Esel. Und mehr Tiere sollen es nicht werden. Manchmal muss eines geschlachtet werden. Das gibt dann Salami. Die Esel putzen das Gelände. Je mehr wächst, desto mehr von dem, was ihnen weniger passt, lassen sie stehen. Gegen den Herbst nehmen sie dann auch das Übriggebliebene. Was sie dann immer noch stehen lassen, mähe ich ab. Als Heu fressen sie dann alles im Winter. Auf ihrer grossen Weide haben sie die Ställe. Im Winter sind sie dort in der Nacht, im Sommer tagsüber, wenn es heiss ist. So weiss ich immer, wann ich sie wo antreffe, wenn ich nach ihnen schaue. Aber da gehe ich nicht jeden Tag hin. Die Esel sind genügsam und wissen sich selber zu helfen. Das Wasser kommt aus der Quelle und wird in einem Trog zurückgehalten. Also brauchen sie auch keinen Durst zu haben. Zusätzlich bekommen sie kein Futter.
Weil man von der Landwirtschaft allein nicht leben kann, habe ich diese kleine Baufirma gegründet. Mache hier und dort Arbeiten. Mauern, Treppen, Reparaturen, was halt so anfällt. Im Moment
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