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Steile Welt (German Edition)

Steile Welt (German Edition)

Titel: Steile Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Stauffer
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die anderen sind unter fünfzig Jahre alt, drei sind Kinder, zwei gehen zur Schule, und eins ist noch ein Säugling. Zu diesen Leuten kommen elf weitere, welche hier ein Haus oder zumindest einen Teil von einem besitzen und regelmässig hierherkommen, manche sogar ein halbes Jahr am Stück. Kann sein, dass der eine oder die andere im Sinn hat, später die ganze Zeit hier zu wohnen. Zumindest hier an diesem Ort scheint die Zukunft noch gesichert zu sein. Jedem liegt sein Haus am Herzen, und wenn man sich umschaut, ist immer einer am Werkeln, bessert hier etwas aus, setzt ein neues Fenster ein oder ersetzt alte Mauerteile, streicht ein Zimmer oder pflegt die Umgebung.»
    Wenn Korrektheit Gestalt annimmt, dann ist es seine. In der Werkstatt wird im blauen Kittel gearbeitet, ebenso an der Strasse. Im Unterhemd sieht man ihn nur an ganz heissen Tagen beim Mähen der Hänge neben dem Haus. Nie ohne Gehörschutz und Schutzbrille. Unterwegs trifft man ihn immer fein gekleidet an. Die Frisur ist immer in Form, das weisse Haar zurückgekämmt und mit Glanz gebändigt. In Form auch der Körper. Der Weg auf die Alp ist nicht zu steil, um ihn, vor allem während der Jagdsaison, mehrmals in der Woche zu machen.
    Sorgfalt wird grossgeschrieben. Sorgfalt mit sich, mit den anderen und der Umgebung.
    «Man lässt es nicht verkommen. Das spricht doch für den Bezug, den man zu diesem Ort hat, und dass er einem etwas bedeutet. Und was einem etwas bedeutet, verlässt man nicht, es sei denn, es geht gar nicht mehr anders. Finanziell sind ja heute die meisten viel besser gestellt als früher. Also kann man sich auch mal einen Handwerker leisten und ein Auto sowieso, das es einem ermöglicht, seiner Arbeit nachzugehen oder die Einkäufe zu erledigen. Auf diese Weise lässt es sich hier gut leben, solange man die Zeit hat, die längeren Wege in Kauf zu nehmen. So gesehen, habe ich eigentlich keine Angst um das Tal. Ich finde, es hat durchaus seine Qualitäten, wenn man dafür ein Auge hat und nicht auf Betriebsamkeit und Unterhaltung aus ist.»

legòrd
    Der Tadel verpflichtet. Zu lange hat man sich nicht blicken lassen im Nachbarhaus. Hat sich vergraben im Schreiben und die Welt um sich herum vernachlässigt, einfach vergessen. Gegessen, wenn der Hunger sich nicht länger verdrängen liess, und geschlafen, weil auch das sein muss. Zu viel geraucht und zu wenig getrunken, trunken von den Worten, die im Kopf sich drehen, sich verdrehen zu einem Strang aus Erzählungen. Der Rückzug in die Versenkung, die Abwesenheit wird beklagt, erstaunlicherweise nicht von den Daheimgebliebenen, sondern von denen, die sich an die nachmittäglichen Plauderstunden am Küchentisch gewöhnt und dem Vernehmen nach sogar Gefallen daran gefunden haben. Und so ist man nun also in Ungnade gefallen. Es gilt Busse zu tun. Die Sünderin schüttelt sich die Asche vom Haupt, die Gespinste aus dem Hirn und trägt beides nach unten in den Abfall. Vergeben ist einem schnell. Vergebens also die Gewissensbisse. Man ist es nicht gewohnt, Schuld auf sich zu laden und sich dieser auch wieder zu entledigen.
    Manchmal, so wie heute, wäre man gerne ein bisschen katholischer. Damit sich einem auch diese Welt erschliesst, die, erfüllt von Bildern und Gerüchen, Gold und Fresken, Schuld und Vergebung, einen sicher und unter Aufsicht der höheren Macht durch den Alltag geleitet. So wäre es leichter, Abbitte zu leisten. Statt einer Hostie lässt man sich die angebotenen Biscotti auf der Zunge zergehen, der heisse Tee ersetzt den Messwein. Nun wird gebeichtet, welcher Gewalt man sich die letzten Tage ausgesetzt gefühlt, welche Macht einen ergriffen und nicht mehr losgelassen hat. Wenn dies ein Kopfschütteln auslöst, dann nur ein unsichtbares. Manches wird halt nicht verstanden. Das muss auch nicht sein. Es liegt nicht an der unterschiedlichen Sprache.
    Danach fühlt man sich wieder frei. Es zieht an die frische Luft in Richtung Talende. Da geht es wieder aufwärts. In jedem Sinne.
    Weil die Kirche sich einem nicht öffnet unter der Woche, ist man schon fast geneigt, den Besuch einer sonntäglichen Messe in Erwägung zu ziehen. Der Gedanke wird aber wieder verworfen. Zu wenig Ahnung hat man von diesem Ritual, dem Auf und Ab, dem Frage und Antwortspiel. Und in die Knie ist man noch nie gern gegangen.
    So beschränkt man sich auf den Besuch des Friedhofs und einen Rundgang auf dem darum herumführenden Kreuzweg mit den vierzehn Kapellen. Der ganze Weg in Begleitung eines Esels. Er,

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