Steile Welt (German Edition)
Häusern. Die Strasse selber, die Anfahrt, ist ja bereits ein Erlebnis. Auch die Übernachtungsmöglichkeiten sind alle eindrücklich und ganz unterschiedlich. Von der einfachen Unterkunft und Verpflegung in der Alphütte bis zur Beherbergung im ehrwürdigen Palazzo, es gibt schon einige Alternativen. Allerdings meistens nur in den warmen Monaten. Die meisten Herbergen schliessen Ende Oktober ihre Türen. Erstens kommen zu wenige Gäste, und zweitens sind die Häuser schwierig zu beheizen, was dann ja auch sinnlos ist, wenn sie halb oder ganz leer stehen.»
Es lässt ihn nicht kalt, wenn in einem Ferienhaus kein Wasser läuft. Der Sanitär ist schnell zur Stelle, wenn der Richtige ihn ruft. Dass die Holzvorräte demnächst zur Neige gehen, wird ausserdem festgestellt, und bei der Ankunft liegt ein Ster Buche an der Strasse, gespalten und in der richtigen Länge zugesägt. Bleibt nur noch, die Hutte zu holen, die Schulden sogleich zu begleichen und sich zu bedanken.
Die Passion für alte Jagdgeräte wird weniger geteilt als das Faible für antike Bücher. Seine Bibliothek birgt Schätze, die er gerne an den Tag befördert und weitergibt. Interesse wird reich belohnt, Neugier jedoch nicht beachtet. Der Tadel liegt in der fehlenden Reaktion. So werden persönliche Fragen zurückgestellt. Diese Persönlichkeit beruht auf Distanziertheit und Zurückhaltung. Und dennoch baut sich eine Nähe auf, die auf Achtsamkeit und Aufmerksamkeit den Dingen gegenüber gründet. Wärme ist auch dabei.
«Im Winter bleibt der Schnee lange liegen im Nebental. Dort scheint drei Monate lang keine Sonne auf den Talboden. Sie spuren eine Langlaufloipe, dort, wo die Ebene beginnt, bis ganz nach hinten. Wenn bei uns im Februar oder März das Tal in der Sonne liegt und es nur noch zuoberst auf den Bergspitzen Schnee hat, braucht man nur hinüberzufahren, und man kommt in den tiefsten Winter. Es ist eisig kalt, aber wunderschön. Da lohnt es sich, die Skier mitzunehmen. Zu Fuss geht es auch. Neben der Spur ist auch ein Gehweg gemacht.
Im Sommer werden in den Dörfern diverse Feste veranstaltet. Tombola oder Polentada, Konzert oder Tanz. Früher waren es ja mehr die religiösen Aktivitäten, welche die Menschen zusammenbrachten. Heute sind es die geselligen Anlässe, wo man sich trifft und zusammen isst, lacht oder sogar singt. Bei solchen Gelegenheiten hat die Fröhlichkeit Oberhand, und man vergisst für eine Weile den Alltag und seine Sorgen. Nicht nur, weil man vielleicht ein Glas zu viel trinkt, sondern weil man sich wohlfühlt in der Gemeinschaft. Diese Feste sind selbstverständlich öffentlich, und alle sind eingeladen, daran teilzunehmen. Es gibt noch weitere Gelegenheiten, sich am kulturellen Geschehen zu beteiligen. Es werden Foren veranstaltet, sogar ein Symposium für Holzbildhauerei.
Ein Grund, der die Leute ebenfalls bewegt, hierher zu kommen und das Tal mit eigenen Augen zu sehen, sind die bekannten Menschen, die hier für eine gewisse Zeit gelebt und gewirkt haben. Wer will nicht einmal mit eigenen Augen gesehen haben, wovon sich die Schriftsteller haben inspirieren lassen, wer möchte nicht Herrn Geisers Wanderung ins Maggiatal selber unter die Füsse genommen oder die Barca mit eigenen Augen gesehen haben. Es sind die kleinen Wunder, mit denen man hier lockt. Aber sie sind es wert, hervorgehoben zu werden, damit wir beachtet werden. Das ist zwar von uns aus gesehen der viel unwesentlichere Teil der Geschichte unseres Tals. Aber es ist der, der zieht und die Attraktivität steigert. Frisch und Prominenz lockt mehr als die unberührte Natur.
Der Kampf um Anziehungskraft und gegen die Entvölkerung wird immer ein Kampf gegen Windmühlen bleiben, da muss man sich nichts vormachen. Die Voraussetzungen, die hier herrschen, lassen sich nicht verändern. Die Hänge sind steil und schwer zu bewirtschaften, der Platz zu beschränkt, um sich einer breiten Masse zu stellen.
Ich hoffe sehr, dass sich die Unkenrufe nicht bewahrheiten, das Tal sei in zwanzig bis dreissig Jahren, wenn wir Alten einmal nicht mehr sein werden, ausgestorben. Wenn man unser kleines Dorf als Beispiel nimmt und eine Zusammenstellung macht, so stellt man fest, dass in den insgesamt siebzehn Häusern, von denen nur gerade zwei unbewohnbar sind, nämlich das verlassene neben dem Container – immerhin hat es ein neues Dach und wird nicht zusammenfallen – und der kleine Stall unterhalb der Strasse, achtzehn Personen dauerhaft leben. Davon sind acht pensioniert,
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