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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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kreuzten sie in ihren Autos ziellos durch die Gegend, auf der Suche nach urlaubsgemäßer Betätigung. Sie hatten Zeit, denn sie mussten irgendwie einen ganzen Urlaubstag herumbringen und fuhren langsam und gemächlich, was Jansen schier zum Verzweifeln brachte.
    »Mann, was sind das bloß für Kutscher! Gib ma büschen Gas da vorne, du Penner aus FF!«
    »Der ist aus Frankfurt an der Oder.«
    »Is mir doch egal, deswegen muss der trotzdem hier nicht so schleichen!«
    »Wir hams doch net eilig, wir haben doch keinen Termin in der ›Villa Floric‹.«
    Jansen sagte nichts mehr, sondern setzte sich mit einem geschickten Überholmanöver vor den Urlauber aus Frankfurt, nur um 50 Meter weiter wieder an der Stoßstange eines Wagens, diesmal aus Dortmund, zu hängen. Angermüller verkniff sich einen Kommentar. Er war ohnehin in seinen Gedanken noch bei ihrem Besuch im Klinikum.
     
    »Es ist wirklich ganz erstaunlich, wie schnell sich der Patient körperlich von den Strapazen seines tagelangen Aufenthaltes in dem Baumgefängnis regeneriert hat«, begrüßte sie der Stationsarzt. »Wenn man bedenkt, dass er nichts gegessen und kaum Flüssigkeit zu sich genommen hat. Eine bewundernswerte Konstitution! Er sieht zwar noch etwas mitgenommen aus, aber es geht ihm den Umständen entsprechend wirklich blendend! Trotzdem sollten wir es nicht übertreiben: Eine halbe Stunde muss für Ihren Besuch reichen.«
    »Und wie sieht es mit der psychischen Stabilität aus? Man spricht ja nicht umsonst von traumatischen Erlebnissen bei Menschen, die gequält und misshandelt wurden«, wollte Angermüller wissen.
    »Auch das ist erstaunlich! Ich gebe zu, für eine langfristige Prognose ist es zu früh, aber der Patient scheint nichts verdrängen zu wollen und setzt sich mit der konkreten Situation genau auseinander. Insofern spricht auch nichts gegen Ihren Besuch – im Gegenteil! Ich glaube, Herr Ferhati sieht dem Gespräch mit Ihnen gespannt entgegen.«
    So war es auch. Trotz Gipsverbänden an Arm und Bein und einem dicken Kopfverband redete der junge Algerier lebhaft und konzentriert mit den Polizisten. Er schilderte ihnen in flüssigem Deutsch, wie ihm jemand neben einem Lieferwagen an der Straße gewunken hatte, als er mit seinem Roller vorbeifuhr. Weil er glaubte, derjenige hätte eine Panne und bräuchte Hilfe, hielt er an. Aber auf einmal waren da drei Männer, vermummt, die ihn packten, ihn knebelten, fesselten, ihm die Augen verbanden und ihn in den Wagen zerrten. Sie fuhren eine ganze Weile. Dabei hörten sie laute Musik, sie rauchten, sie grölten und häufig hörte er auch das Geräusch einer sich öffnenden Bierdose. Schließlich flog er auf der Ladefläche des Wagens hin und her, denn offensichtlich hatten sie die Teerstraße verlassen und waren in einen holprigen Weg eingebogen.
    Sachlich schilderte er die menschenverachtenden Quälereien, die die drei Neonazis dann mit ihm veranstaltet hatten.
    »Die waren zu dritt und ich allein – gefesselt und mit verbundenen Augen. Ich konnte mich nicht wehren, logisch. Typen wie die fühlen sich nur in der Gruppe stark.«
    Als sie genug von ihren grausamen Spielchen hatten, nahmen sie Ferhati die Augenbinde ab. Er konnte niemanden erkennen, da ihre Gesichter wieder vermummt waren. Dann hetzten sie ihn durch den Wald und er war fest entschlossen, ihnen bei dieser Gelegenheit zu entfliehen. Zu Anfang bekam er ein paar Treffer ab, was seine Jäger jedes Mal mit Jubelgeschrei feierten. Doch statt wie ein aufgescheuchtes Wild ziellos durch die Gegend zu rennen, bewegte sich Ferhati relativ langsam, hinter dicken Baumstämmen Schutz suchend, und entfernte sich so immer weiter von seinen Verfolgern. Wahrscheinlich hatte auch der Alkoholkonsum ihr Reaktionsvermögen eingeschränkt. Irgendwann vernahm er ihre Stimmen nur noch in weiter Ferne. Dann sah er in der Dunkelheit schemenhaft diesen riesigen Stapel von Baumstämmen vor sich liegen und kroch Schutz suchend dazwischen, was ihm nicht leicht fiel, da seine Hände immer noch auf dem Rücken gefesselt waren. Und plötzlich passierte es: Ein dumpfes Knirschen, ein Ruck und er spürte gar nichts mehr. Er war wohl ohnmächtig geworden und als er erwachte, fand er sich eingeklemmt zwischen den mächtigen Hölzern.
    »Wie konnten Sie das nur tagelang in diesem engen Gefängnis aushalten?«, fragte Angermüller entsetzt.
    »Anfangs habe ich mir Rezepte ausgedacht und an Rechenaufgaben geknobelt. Meinen Hunger und Durst habe ich mit dem Kauen von

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