Steilufer
Ketchupflasche für die Kinder, Brotkörben und Platten voll gegrillten Entrecotes und Nackenkoteletts. Georg mischte sich ein Alsterwasser und wie immer fand er das Bier bei seinen Schwiegereltern ein wenig zu warm. Als sein Handy vibrierte, schaltete er es kurzerhand aus.
Georg hatte die reichlich dargebotenen Speisen, die für ihn meist das einzige Highlight dieser Zusammenkünfte waren, immer genossen, aber heute konnten ihn auch die deftigen Spezialitäten seiner Schwiegermutter nicht locken. Als die Fleischberge bis auf ein paar Reste zusammengeschmolzen und die Salatschüsseln geleert waren, verdrückte sich Angermüller ins Haus, ging ins Esszimmer und schaltete sein Handy wieder ein. Die Nummer des Anrufers, den er weggedrückt hatte, war ihm unbekannt, doch mitt-lerweile war ein zweiter Anruf eingegangen, und zwar von seinem Kollegen Jansen.
»Sach ma, in welcher Liebeslaube steckst du denn, dass du nicht gestört werden willst?«, fragte der, als er ihn zurückrief.
»Schwiegermutters Geburtstag.«
»Au Backe.«
Für Jansen, der feste Beziehungen mied wie die Pest, musste die Vorstellung einer eigenen Schwiegermutter eine wahre Horrorvision sein.
»Wir haben morgen eine Verabredung, wir zwei. Das Krankenhaus hat bei mir angerufen, nachdem sie dich nicht erreicht haben. Sie meinen, wir könnten den Algerier mit dem Namen, den ich mir nicht merken kann, morgen vernehmen.«
»Fouhad Ferhati heißt der Mann. Das ist heute schon die zweite gute Neuigkeit!«
»Was war die erste?«
»Steffen hat mir das Ergebnis der Gesichtsrekonstruktion unserer Leiche vom Steilufer gebracht.«
»Sehr gut! Wann sehen wir uns morgen? Bedenke bei der Uhrzeit bitte, es ist Sonntag.«
»Vor allem muss ich das jetzt erst einmal Astrid beibringen – wir wollten uns morgen zu zweit einen schönen Tag machen, die Mädels fahren ins Zeltlager.«
»Sollen wirs auf Montag verschieben?«
»Auf gar keinen Fall! Dafür ist die Aussage von Ferhati viel zu wichtig! Ich würde sagen, wenn ich mich nicht gleich noch mal melde, treffen wir uns um 10 an der Klinik.«
»Das is ’n Wort.«
Als Angermüller zurück in den Garten kam, waren Astrid und ihre Schwestern gerade dabei, die Tische abzuräumen.
»Na, willst du mir was sagen, Georg?«, fragte Astrid, als sie mit einem Stapel Teller an ihm vorüberging.
»Wieso?«
»Du guckst so komisch.«
Manchmal fand Angermüller die Hellsichtigkeit seiner Frau geradezu beängstigend.
»Ja, der Jansen hat gerade angerufen beziehungsweise ich hab ihn angerufen. Wir haben morgen einen Termin.«
»Wichtig?«
»Ziemlich wichtig. Der junge Mann, über den die Neonazis hergefallen waren, ist wieder vernehmungsfähig.«
»So, so. Schon als Steffen mit diesem ominösen Umschlag hier auftauchte, sah ich die Chance auf unseren Sonntag schwinden.«
»Das ist die zweite Geschichte: Unser unbekannter Toter vom Steilufer hat ein Gesicht bekommen und wenn wir jetzt jemanden finden, der weiß, wer er ist, sind wir schon ein ganzes Stück weiter!«
Angermüller sprach schnell und begeistert. Der Fahndungseifer des engagierten Polizisten hatte ihn gepackt. Astrid brachte die Teller ins Haus und als sie wieder herauskam, ging sie zu ihm und legte ihre Arme um seinen Hals.
»Das ist kein Problem morgen, Georg! Es wäre nur schön, wenn wir zusammen die Mädels an den Bahnhof bringen könnten.«
»Du bist nicht sauer?«
»Ich verstehe doch, wie wichtig das für euch ist! Und ich freue mich auch einmal über einen Sonntag in aller Ruhe allein zu Hause, einfach machen, was mir so einfällt. Das Wetter soll ohnehin schlechter werden. Außerdem haben wir ja noch 10 Tage allein für uns.« Sie lächelte ihn an. »Und 10 Nächte«, flüsterte sie nah an seinem Ohr.
Georg gab ihr einen Kuss.
»Schatzi, du bist wunderbar!«
»Na, was ist denn mit euch los? Ihr seid ja die reinsten Turteltäubchen!«
Sigrids Mann Jochen, der gerade aus dem Haus kam, zeigte auf die beiden.
»Seht euch das an!«
»Nur kein Neid!«
Astrid meinte das ernster, als es sich anhörte, denn sie wusste, dass die Ehe ihrer Schwester alles andere als glücklich war, und sagte dann in scherzhaftem Ton:
»Ich habe meinem Mann soeben morgen frei gegeben, damit er auch am Sonntag einen Mörder jagen kann!«
»Oh, wie spannend! Wessen Mörder?«
Angermüller ließ Astrid los.
»Es geht immer noch um den unbekannten Toten vom Steilufer, einen jungen Nordafrikaner.«
»Ach so.« Jochens Interesse schien schon geschwunden. »Na ja,
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