Steilufer
Baumrinde in Schach gehalten. Ich habe gebetet und immer wieder geschlafen.«
»Sie sind Moslem?«
»Ich renne normalerweise nicht fünf Mal am Tag in die Moschee, wenn Sie das meinen. Gott oder Allah, das ist für mich dasselbe. Hauptsache, irgendeiner, an den ich mich wenden kann.«
Der Hauptkommissar fühlte sich plötzlich sehr klein diesem jungen Mann gegenüber, auch Jansen, der persönliche Betroffenheit aus seinem Beruf völlig auszuklammern versuchte, schien sehr beeindruckt. Fouhad Ferhati war weder verängstigt noch voller Hass gegenüber seinen Peinigern. Er sah die Tatsachen glasklar, analysierte messerscharf die Beweggründe von Maik Priewe und seinen Kumpanen und kam zu dem Schluss, dass er letztlich der glücklichere Mensch sein musste.
Dann wollte Fouhad Ferhati alles über seine Gefangenschaft und seine Errettung wissen und fragte die Beamten nach sämtlichen Details: wie lange genau er zwischen den Baumstämmen gelegen hatte, wie und von wem er gefunden worden war und natürlich auch, ob die Polizei die Täter schon ausgemacht hatte. Allmählich war ihm aber dann doch eine gewisse Erschöpfung anzumerken und auch der Arzt schaute zur Tür herein und erinnerte daran, dass die halbe Stunde jetzt um sei.
»Eine Bitte habe ich noch: Könnten Sie sich dieses Bild einmal ansehen.« Angermüller legte die Abbildung des rekonstruierten Gesichtes auf die Bettdecke vor Ferhati. »Kennen Sie vielleicht diesen Mann?«
Aufmerksam betrachtete Ferhati das Gesicht und schüttelte dann mit dem Kopf.
»Irgendwie kommt er mir zwar bekannt vor – aber eine konkrete Person fällt mir jetzt nicht ein. Was ist mit ihm?«
»Er wurde vor ein paar Tagen tot am Steilufer gefunden. Stammt wahrscheinlich auch aus Nordafrika.«
»Armer Kerl.«
»Ja, das ist er«, nickte Angermüller nachdenklich. »Ich denke, das wars auch schon. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wir lassen Sie jetzt mal wieder in Ruhe, damit Sie sich weiter erholen können.«
»Kein Problem! Hat mich gefreut, für mich waren Sie mein erster Besuch!«
»Dann wünschen wir Ihnen weiter gute Besserung!«
»Danke! Und viel Besuch – ich war lange genug allein mit den Bäumen.«
»Wir wollen jetzt zu Ihren Kollegen in der ›Villa Floric‹. Sollen wir sie herschicken?«
»Ja, bitte! Und sagen Sie schöne Grüße!«
Sorgenvoll blickte Anna durch das Fenster ihrer Küche in den düsteren Himmel. Der Sommer legte eine Pause ein, laut Wetterbericht zwar eine kurze, aber man konnte sich auf die Aussagen der Meteorologen selten verlassen und die eine Sommerwoche hatte noch lange nicht ausgereicht, der ›Villa Floric‹ schwarze Zahlen zu bescheren. Bisher hatte es noch nicht geregnet, aber auf der Terrasse würde bei diesem Wetter heute Abend kein Gast sitzen können und das bedeutete, mindestens ein Drittel weniger Umsatz. Hinzu kam der merkbar geringere Getränkekonsum bei niedrigen Temperaturen. Sie atmete laut pustend aus. Konnten denn diese Sorgen nicht mal ein Ende nehmen?
Vielleicht weckte die kühle Witterung den Appetit ihrer Gäste und sie verlangten statt nach leichten Sommersalaten auch einmal wieder nach kräftigeren Speisen. Also änderte Anna kurz entschlossen das Angebot und setzte ihre pikante Muschelsuppe, gefüllte Poularde und Kaninchen in Cidre geschmort auf die Karte; alles Spezialitäten, die während der heißen Tage nicht in der ›Villa Floric‹ serviert worden waren. Das war auch eine Art Therapie, denn wenn sie in ihre Welt der Düfte und Geschmackskompositionen eintauchen konnte, dachte sie an nichts anderes. Aus Dijonsenf, Honig und zerdrücktem Knoblauch mischte sie eine pastöse Marinade, gab noch Öl und etwas frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer dazu und bestrich damit die zartrosa Kaninchenteile. Die durften ruhig ein paar Stunden in der Marinade liegen bleiben.
Dann brachte sie in kochendem Wasser die Miesmuscheln dazu, sich zu öffnen, löste das Muschelfleisch aus den Schalen und stellte den Sud beiseite. In einem großen Topf dünstete sie Zwiebeln und Lauch in Butter an, gab eine fein gewürfelte Tomate hinzu sowie Thymian, Petersilie und Lorbeerblatt und zum Schluss, damit die pikante Muschelsuppe ihren Namen auch verdiente, wenige scharfe, kleine Peperoni und ein paar Knoblauchzehen, alles unzerkleinert. Ein wunderbar würziger Duft stieg auf. Nun folgten klein gewürfelte Kartoffeln und grob geraspelte Möhre. Anna goss den Muschelsud auf, schmeckte ihn mit Salz ab und ließ alles auf kleiner Flamme
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