Steilufer
köcheln. Ganz zum Schluss gab sie dann das Muschelfleisch hinein. Am Abend, vor dem Servieren, kamen dann noch reichlich Crème fraîche und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer dazu. Sie nahm einen Löffel zur Probe – die Suppe schmeckte jetzt schon köstlich.
Längere Vorbereitungen waren nicht mehr nötig, alles andere konnte von der Küchenmannschaft am Nachmittag erledigt werden. Anna bereitete sich eine große Tasse Milchkaffee – es war schon die dritte an diesem Tag – und setzte sich in den Wintergarten. Es war ein eigentümliches Wetter da draußen. Kalt, windig, dunkle Wolken – es sah nach einem kräftigen Gewitter aus und Lionel war mit Yann auf der Segeljacht unterwegs. Der Junge hatte nicht locker gelassen und Yann immer wieder an sein vor Tagen gegebenes Versprechen für einen gemeinsamen Segeltörn erinnert. Als Anna wegen des unwirtlichen Wetters protestiert hatte, meinte er, ein richtiges Unwetter würde ausbleiben, dafür habe es sich schon viel zu lange abgekühlt, sich woanders entladen und kräftigen Wind, den bräuchten echte Männer schließlich zum Segeln. Lionel hatte stolz dazu gegrinst. So hatte sich die besorgte Mutter damit abgefunden und die beiden ziehen lassen. Yann war schließlich ein erfahrener Segler und Leichtsinn gehörte nicht zu seinen Charaktereigenschaften.
Annas Hochstimmung, in der sie am Tag zuvor gelebt hatte, war vergangen und sie ahnte, dass daran nicht nur der Wetterumschwung Schuld trug. Am späten Sonnabendnachmittag hatte Frauke angerufen, dass Lionel nun doch nicht wie verabredet bei Jakob übernachten könne. Jakobs Vater, sein ›Erzeuger‹, wie Frauke ihn konsequent nannte, hatte sich wieder einmal völlig überraschend gemeldet: Er sei in der Gegend und wolle mit seinem Sohn etwas unternehmen. Da dies selten genug vorkam und deshalb für den Jungen umso größere Bedeutung hatte, bat Frauke um Verständnis, dass sie Lionel nun in die ›Villa Floric‹ zurückbringen musste. Das war für Anna nachzuvollziehen, aber Lionel war natürlich enttäuscht von dieser plötzlichen Änderung seiner Wochenendgestaltung und kam ziemlich schlecht gelaunt zu Hause an.
Anna war auf seine frühe Rückkehr nicht vorbereitet. Nur kurz hatte sie der Gedanke beschäftigt, wie sie Lionel die Veränderung ihrer Beziehung zu Yann erklären sollte – sie hatte später in Ruhe darüber nachdenken wollen, aber dazu war jetzt keine Gelegenheit mehr. Erfreulicherweise war die ›Villa Floric‹ an diesem Abend ausgebucht, die Leute saßen drinnen wie draußen. Anna hatte alle Hände voll zu tun, die Küche arbeitete auf Hochtouren, um alle Wünsche der Gäste rasch und in der gewohnten, exquisiten Qualität zu erfüllen. Trotzdem wurde für Lionel seine Lieblingspizza mit Mozzarella, Spinat und Tomaten frisch zubereitet und zum Nachtisch bekam er eine große Portion Milchreis mit Kirschen serviert. Er durfte Cola trinken, fernsehen und Computer spielen – alles Dinge, die nicht die Regel waren – und als er gegen 11 erschöpft ins Bett fiel, hatte sich seine Laune zumindest so weit gebessert, dass er Anna gnädig einen Gutenachtkuss genehmigte.
Allein Lionels Anwesenheit führte dazu, dass Anna plötzlich wieder Zweifel kamen, ob die Liebesbeziehung zu Yann nicht ein Fehler gewesen war. Vor allem, dass sie noch nicht mit Lionel darüber hatte sprechen können, hinterließ bei ihr ein schlechtes Gefühl. Sie wusste, dass es albern war. Sie war eine erwachsene Frau und ihrem Sohn keine Rechenschaft über ihr Liebesleben schuldig. Außerdem war Yann ohnehin eine Art Ersatzvater in den letzten Jahren für Lionel gewesen, der Junge mochte ihn, ja, Yann war sogar eine Art Vorbild für ihn. Trotzdem fühlte sie sich wie jemand, dem eine Beichte bevorstand.
Als das Restaurant schloss und die Küchenmannschaft Feierabend machte, blieben Anna und Yann allein in der Küche zurück und als Yann sie in die Arme nahm, lächelnd, ungeduldig, da war sie plötzlich verkrampft und abweisend und konnte seine Küsse nicht ertragen.
»Entschuldige, Yann, es liegt nicht an dir.«
Sanft machte sie sich von ihm los und sah seine Verwirrung und seine Enttäuschung. Sie versuchte, ihm ihre Gefühle zu erklären, redete und redete. Sie erzählte von sich, von Lionel, der ihr alles bedeutete, von Said, den sie verloren hatte, redete von ihren Zweifeln, von der alles beherrschenden Angst, auch Lionel zu verlieren, weil er ihre Beziehung vielleicht nicht akzeptieren könnte. Yann sah sie an, hörte
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