Steilufer
Angermüller noch einmal nach und seine Enttäuschung war ihm deutlich anzuhören. Alle drei schüttelten den Kopf.
»Irgendwie kommt er mir bekannt vor, aber nicht so, dass ich jemanden darin wieder erkenne«, bestätigte Djaffar. Angermüller nahm das Bild wieder an sich.
»Das wars schon, meine Herren!«
Chabi verließ wortlos die Küche und Hadi stellte zwei Teller auf den Tisch und legte Besteck daneben.
»Jetzt Couscous!«
Dieses Mal nahm Angermüller Hadis Einladung an und es war ihm egal, dass Jansen seine Augenbrauen kritisch in die Höhe zog. Ehe der sich dagegen wehren konnte, saß er sowieso gleich darauf neben seinem Kollegen am Tisch und probierte von Hadis algerischem Eintopf. Angermüller konnte eine leichte Schadenfreude nicht unterdrücken: Jansen, der notorische Fastfood-Konsument, der unbekannte Gerichte niemals anrührte, konnte sich Hadis begeisterter Bewirtung nicht verweigern und stocherte vorsichtig in der exotischen Speise. Georg Angermüller aß mit Appetit – es schmeckte kräftig, würzig, scharf und mild gleichzeitig. Der Couscous, der kleinkörnige Hartweizengrieß, der dem Gericht seinen Namen gab, war sanft und nussig, die rote Harissa-Soße brannte feurig und in der Gemüse-Fleisch-Komposition kam der Geschmack der einzelnen Zutaten gut zur Geltung.
»Und dies hier ist also das köstliche Nationalgericht Ihrer Heimat?«, fragte Angermüller zwischen zwei Gabeln der aromatischen Mischung aus Karotten, Kichererbsen, Bohnen, Zucchini, weißen Rübchen und allerlei Gemüsesorten, die er so schnell nicht identifizieren konnte.
»Es stimmt, in Algerien, auch in Marokko und Tunesien übrigens, wird viel Couscous gegessen«, bestätigte Djaffar, »aber hauptsächlich nur der nahrhafte und billige Weizengrieß mit einer dünnen Gemüsesoße. Was Sie hier essen, ist ein typischer Festtagsschmaus, mit Lamm und Huhn. So etwas gibt es nicht alle Tage.«
»Schmeckt gut?«, wollte Hadi von Jansen wissen, der pflichtschuldig nickte. »Ja, sehr lecker.«
Angermüller war gespannt, ob sein Kollege bei diesem Urteil bleiben würde, wenn sie wieder unter sich waren. Hadi jedenfalls war zufrieden und Angermüller bat um das Rezept. Ein Couscous ließ sich gut vorbereiten und eignete sich hervorragend für größere Runden von Gästen. Als Hadi ihnen eine zweite Portion anbot, winkten die beiden Beamten ab.
»Danke, wir wollen Ihnen nicht alles wegessen! Aber es war ganz wunderbar!«
Sie bedankten sich bei den beiden Algeriern für die nette Bewirtung, verabschiedeten sich und sprangen durch den immer noch fallenden Regen schnell über den Hof zum Hintereingang der ›Villa Floric‹. Als auf ihr Läuten niemand öffnete, umrundeten sie das Haus, möglichst eng an der Wand, um vor der Nässe ein wenig geschützt zu sein. Schließlich entdeckten sie Anna Floric in ihrem eleganten Wintergarten. Sie winkte ihnen zu, als sie die beiden Beamten erkannte, erhob sich und ließ sie über die Terrassentür ein. Neben ihr stand der große Hund mit dem weißgrauen Fell und wedelte freundlich mit dem Schwanz.
»Guten Tag, Messieurs! Was bringen Sie für ein hässliches Wetter mit?«
»Guten Tag, Frau Floric! Wir übernehmen keine Verantwortung!«
Anna Floric lachte.
»Ja, leider kann man niemandem die Schuld für das Wetter zuschieben! Auch wenn bei uns heute die Geschäfte deshalb wieder schlecht laufen werden.«
Seufzend sah sie hinaus in den grauen Tag.
»Aber Sie sind wahrscheinlich nicht gekommen, um über das Wetter zu reden. Was führt Sie her? Wollen Sie sich setzen?«
»Danke, wir wollen Sie gar nicht lange aufhalten.«
Angermüller fummelte die Klarsichthülle aus seiner Jackentasche.
»Wir wollten Ihnen nur das hier zeigen und fragen, ob Ihnen die Person vielleicht bekannt vorkommt.«
Er hielt Anna Floric den Ausdruck mit dem rekonstruierten Gesicht des Toten vom Steilufer hin. Sie nahm ihm das Bild ab und sah es kurz an.
»Woher haben Sie das? Wer soll das sein?«
»Das ist eine Rekonstruktion des Gesichtes der unbekannten Leiche vom Steilufer, angefertigt durch ein Computerprogramm.«
»Wieso Computerprogramm?«
Der Klang ihrer Stimme, tonlos und brüchig, irritierte den Kommissar und er warf ihr einen erstaunten Blick zu.
»Sein Gesicht war praktisch nicht mehr existent. Kennen Sie den Mann?«
In dem Moment machte Anna Floric einen Schritt auf den Tisch zu und hielt sich mit einer Hand an der Kante fest. Jansen sprang geistesgegenwärtig herbei und schob ihr einen Stuhl hin,
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