Steilufer
wichtige Teamsitzung und ich hab heute Morgen völlig vergessen, dass ich jemand von den anderen Eltern bitten wollte, die beiden mitzunehmen.«
»Nun ist es gelaufen. Glücklicherweise war ich ja schon wieder an Land und erreichbar. Aber wir sollten schon mal in Ruhe über deinen Anteil an bestimmten Aufgaben reden. Wann kommst du?«
»Ich fürchte, nicht so früh. Wir müssen noch ein paar Vermisstenmeldungen nachgehen und ich kann nicht einschätzen, wie lange das dauert. Aber ich verspreche dir, wir setzen uns so bald wie möglich zusammen!«
»Versprich nichts, was du nicht halten kannst. Tschüss, Georg.«
Ihre Art, auf eines seiner typischen Missgeschicke so völlig emotionslos zu reagieren, erschien ihm fremd und verunsicherte ihn sehr. Aber sie wollte offensichtlich jetzt nicht weiter mit ihm sprechen, es blieb ihm gerade noch Zeit für ein kurzes ›Ade‹ und schon sie hatte aufgelegt.
Ärgerlich steckte er sein Handy wieder ein. Warum passierte ihm das immer wieder, warum gab er Astrids Vorwürfen, dass ihn das Familienleben schlichtweg nicht interessiere und ihm der Beruf über alles gehe, immer wieder neue Nahrung? Aber er würde in dieser Woche ganz bestimmt versuchen, einen freien Abend zu Hause zu verbringen, er würde was Nettes kochen und wenn die Kinder im Bett waren, einen guten Wein aufmachen und in aller Ruhe mit Astrid über alles reden.
»Georg, ich wollte noch kurz mit dir sprechen.«
Eckmann hatte neben ihm Platz genommen und seine Worte holten Angermüller wieder zu seinem Fall zurück.
»Was ist los?«, fragte er.
»Eine blöde Geschichte: Der Christensen rief vorhin hier an. Du weißt schon, der rasende Reporter von unserem Lokalblatt. Die haben Exklusivfotos von unserem Toten.«
»Wie sind die denn da rangekommen?«, fragte Angermüller empört.
»Touristen! Die hatten nix Besseres zu tun, als da am Steilufer eine Leiche zu fotografieren! Für 300 Euro haben sie die Fotos an die Zeitung verkauft – zusätzliches Urlaubsgeld, verstehst du. Zum Glück haben sie sich nicht an die Geier von diesem Revolverblatt gewendet. Der Christensen hat anständigerweise hier angerufen und mich informiert – aber natürlich will er jetzt Informationen, das sei seine ›journalistische Pflicht‹, sagt er.«
»Und wie bist du mit ihm verblieben?«, wollte Angermüller wissen.
»Ich konnte ihn bis morgen vertrösten. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt, wenn ich dann morgen offiziell die Presse informieren muss.«
»Alles klar, Chef!«
»Also, irgendwie riecht das hier eigenartig!«
Eckmann hielt seine Nase schnüffelnd in die Luft und Angermüller hob seine ebenfalls prüfend.
»Irgendwie nach Fisch«, resümierte Eckmann schließlich. Bei diesem Stichwort entsann sich Angermüller seiner nicht beendeten Mahlzeit im Auto und griff mit betretener Miene in die Tasche seiner Jacke, die hinter ihm über dem Stuhl hing. Unansehnliche Fettflecke zierten die braune, zusammengedrückte Papiertüte, die er ans Tageslicht beförderte und in der die Reste seines Brötchens mit geräuchertem Rollmops ihre appetitliche Frische längst eingebüßt hatten.
»Das hatte ich völlig vergessen«, murmelte er.
»Na denn, guten Appetit!«, wünschte Eckmann spöttisch und erhob sich. Auch Angermüller stand auf, warf das Fundstück schnell in den Abfallkorb und schloss sich Jansen an, der bereits an der Tür auf ihn wartete.
Es war kurz nach 22 Uhr, sie hatten drei Vermisstenmeldungen überprüft und keinerlei Verbindung zu ihrem Fall feststellen können. Bei einem der Abgängigen hatte es sich, trotz des männlich klingenden Vornamens, um ein junges Mädchen gehandelt, bei einem anderen um einen als riesenhaft groß und dick beschriebenen türkischen Gastwirt. Der Dritte, ein Kenianer war nach einem Streit mit seiner Frau verschwunden, hatte ihnen aber soeben höchstpersönlich die Tür vor der Nase zugeschlagen, als sie ihm ihre Polizeiausweise entgegenhielten.
»Wäre ja auch zu schön gewesen«, seufzte Jansen, während sie in den Audi stiegen. Sie verließen die unwirtliche Gegend in der Innenstadt, wo die Altstadthäuser noch nicht aufwendig restauriert und zum edlen Wohnambiente für Besserverdienende umgewandelt waren, sondern Spielsalons und Bordelle siedelten, die Drogenszene zu Hause war und in den engen Wohnungen, die noch nicht entmietet waren, die sozial Schwachen hausten. Die nächste Adresse auf ihrer Liste führte sie nach Travemünde.
Sie klingelten an der Haustür eines rot
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