Steilufer
wie gesagt, das sind alles ganz normale Leute, keine Rechten oder Skins oder so was.« Etwas hilflos zuckte Jenny Lentz mit den Schultern und knetete verlegen ihre Hände.
»Mmh«, machte Angermüller. »Also, am Donnerstag ist Ihr Freund nicht gekommen. Und dann?«
»Freitag musste er arbeiten, da habe ich sowieso nicht mit ihm gerechnet. Aber natürlich war ich unruhig und als er sich auch wieder nicht telefonisch gemeldet hat, habe ich gestern in der ›Villa Floric‹ angerufen. Und als die gesagt haben, dass er Freitag nicht zur Arbeit gekommen ist und sie auch nicht wissen, wo er ist, bin ich sofort zur Polizei gegangen.«
Die Röte ihrer Wangen hatte mittlerweile ihr ganzes Gesicht zum Glühen gebracht. Sie konnte ihre Aufregung nicht mehr unterdrücken und seufzte von ganz tief drinnen: »Hoffentlich ist ihm nichts passiert!«
Angermüller und Jansen wechselten einen Blick. Sie fanden es beide überflüssig, zu diesem Zeitpunkt den Toten vom Steilufer zu erwähnen und fragten nur noch einmal sämtliche Details für eine exakte Personenbeschreibung ab. Sie erfuhren, dass der junge Mann immer mit einem Roller unterwegs war, und notierten sich die Adresse des Restaurants, wo er nicht nur in der Küche arbeitete, sondern auch wohnte, wie ihnen seine Freundin erklärte. Dann ließen sie sich noch eines der aktuellen Fotos aushändigen und versprachen der jungen Frau, sich zu melden, wenn sie etwas über Fouhad in Erfahrung gebracht hätten.
»Das könnte leider ein Volltreffer sein«, meinte Jansen, als sie wieder im Auto saßen.
»Ja, des passt«, brummte Angermüller zustimmend, während er mit dem Sicherheitsgurt kämpfte, der für seine Körpermaße ein wenig zu knapp eingestellt war.
»Mensch! Nu stell dir das Ding doch ’n büschen weiter ein! Das kann man ja nich mit ansehen!«
Jansen beugte sich weit herüber und zog kräftig an der Erweiterungsschlaufe.
»So – jetzt läufst du mir wenigstens nich mehr blau an!«
Zum Richtigstellen dieser weit übertriebenen Aussage kam Angermüller nicht mehr, denn der Ruf seines Handys ertönte und er begann den Kampf mit dem Sicherheitsgurt von Neuem, schnallte sich los, durchsuchte seine Taschen und hatte endlich die Stimme des Kollegen Niemann am Ohr.
»Ich wollte euch nur noch eine Vermisstenmeldung durchgeben, die irgendwie hier hängen geblieben ist, obwohl sie schon gestern einging. Ein Restaurant, ›Villa Floric‹ heißt das, liegt an der Steilküste bei der Kaiserhöhe, wartet seit vorgestern auf einen seiner Mitarbeiter. Fouhad Ferhati. Der ist Algerier.«
»Stimmt exakt! Wir kommen gerade von seiner Freundin, haben ein Foto von dem Vermissten und werden uns als Nächstes um das Restaurant kümmern.«
»Na, supi! Aber nicht, dass du denkst, du kannst dort auf Staatskosten speisen, Kollege Angermüller! Das is so ’n Edelschuppen, das is im Etat nich drin!«
»Hab ich schon von ghört. Schade eigentlich – aber wie kommst du drauf, dass mich das interessieren könnte?«
Thomas Niemann lachte.
»Kann ich mir auch nicht erklären.«
»Na ja, Niemann«, brummte Angermüller gutmütig und bat ihn dann, die Kollegen von der Verkehrsüberwachung nach dem Motorroller des Vermissten fahnden zu lassen.
»So, das wär erledigt«, sagte er dann zu Jansen. »Es ist jetzt eh schon spät. Ich schlag vor, wir machen Feierabend für heute und fahren gleich morgen früh zu diesem Restaurant. Einverstanden?«
Jansen nickte und lenkte den Wagen auf die B75 in Richtung Innenstadt.
Als Angermüller die Tür aufschloss, war im Haus alles dunkel und still und er verspürte leichte Enttäuschung. Er hatte gehofft, mit Astrid noch ein Glas Wein trinken und in entspannter Atmosphäre reden zu können: über die Kinder, sie beide, die beruflichen Verpflichtungen und wie ein für alle Seiten zufrieden stellendes Familienleben aussehen sollte. Nun musste er, ohne sein Versäumnis von heute noch einmal erklären zu können, mit seinen Schuldgefühlen schlafen gehen. Der Heißhunger, den er gerade noch verspürt hatte, löste sich bei diesen Gedanken einfach in Nichts auf. Er begnügte sich damit, eine Flasche Rotwein aus der Küche zu holen, legte im Wohnzimmer Puccinis ›Tosca‹ in den CD-Player, setzte den Kopfhörer auf und ließ sich mit einem Glas Wein in seinem Sessel nieder. Das große Operndrama war genau die richtige Ablenkung von seinen Alltagssorgen und noch bevor die Heldin ihren Peiniger erdolcht hatte, spürte er, wie sich eine angenehme Schwere
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