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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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zusammengetragen hatten, war eine Frischluftzufuhr dringend nötig gewesen. Gerade hatte Dr. Steffen von Schmidt-Elm seine Ergebnisse der rechtsmedizinischen Untersuchung vorgetragen. Auch er hatte auf sein Wochenende verzichtet und getan, was er für die Aufklärung dieses Falles tun konnte. Nicht jeder seiner Kollegen hätte so gehandelt, doch Steffen war Rechtsmediziner aus Leidenschaft und nicht zuletzt deswegen eine anerkannte Kapazität in seinem Fach. Allerdings hatte die Obduktion keine wesentlich neuen Erkenntnisse gebracht, bis auf die genauere Eingrenzung des Todeszeitpunktes zwischen ein und 3 Uhr morgens von Donnerstag auf Freitag. Auch seine Vermutung, dass die Schläge auf den Kopf nur indirekt die Todesursache waren, hatte sich als richtig erwiesen: Der Junge war verblutet – hatte also noch gelebt, als man ihn in dem kleinen Boot auf seine letzte Reise schickte. Bei seiner Herkunft war sich Schmidt-Elm zu 80 Prozent sicher, dass er nach Körperbau sowie der Beschaffenheit von Haut und Haaren aus einem nordafrikanischen Land stammte. Die Untersuchung seiner Kleidungsstücke hatte nichts Spezielles ergeben, Konfektion, wie man sie überall in Mitteleuropa angeboten bekam.
    Als Schmidt-Elm anhand der Fotos des Opfers noch einmal die Verletzungen erläutert hatte und wie sie nach seiner Ansicht zustande gekommen waren, war es nicht nur auffällig still geworden, auch das Atmen fiel manch einem der Anwesenden schwer, so beklemmend war der Anblick dieses brutal verstümmelten Gesichtes. Was der oder die Schläger übrig gelassen hatten, war von Möwen und anderen Seevögeln mit ihren scharfen Schnäbeln weiter bearbeitet worden.
    Obwohl die Konfrontation mit den grausam zugerichteten Opfern zwischenmenschlicher Gewalt zu ihrem Alltag gehörte, löste der direkte Blick in diese Abgründe immer wieder eine Art Schock aus, denn kein Mensch will wirklich glauben, dass ein anderer zu solchen Taten fähig ist. Angermüller und seine Kollegen wussten es natürlich besser. Und was sie daran am meisten irritierte, war die Erkenntnis, dass diese Fähigkeit scheinbar in jedem Menschen zu stecken schien.
    Die kriminaltechnischen Untersuchungen des Bootsschuppens und des Vereinsgeländes waren noch nicht beendet, doch bereits jetzt zeichnete sich ab, dass dort keine verwertbaren Spuren zu finden sein würden. Der einzig wichtige Fund war eine Rolle Tauwerk in einer Ecke des Bootsschuppens der Seglervereinigung, von der das Ende stammte, mit dem der Tote verschnürt worden war. Ansonsten war das Schlauchboot, der ›Tender to Mary‹, frei von jeglichen Hinweisen auf den oder die Täter. Es gab also kaum Anknüpfungspunkte. Angermüller spürte seine Ungeduld. Er wollte jetzt die Sache vorantreiben und nicht länger hier herumsitzen. Er bat um Ruhe und sagte dann:
    »Viel haben wir nicht, wo wir einhaken können. Was solls – wir schnappen nach jedem Brocken, den wir kriegen können: Da ist die Frage der Schlüssel im Segelverein. Kollege Niemann und Kollegin Kruse – ihr seid ja ein bewährtes Team, ihr arbeitet an der Auswertung der Mitgliederlisten und meldet euch, sobald ihr auf Gold stoßt. Franke und Maßmann, ihr nehmt noch zwei Kollegen mit und geht den Tipps nach, die vom Staatsschutz über die Kunden aus der rechten Szene gekommen sind. Jansen und ich arbeiten die Vermisstenmeldungen ab. Wenn ihr sonst nichts mehr habt – wir sehen uns morgen um 14 Uhr hier wieder!«
    Er hatte bei dieser Ankündigung auf seine Uhr geschaut und plötzlich fiel Angermüller ein, dass er es übernommen hatte, die Zwillinge abzuholen! Und jetzt war es fast eine Stunde später. Er versuchte, Julia über ihr Handy zu erreichen – besetzt. Er wählte Judiths Nummer und sie meldete sich sofort.
    »Hallo, Papa!«
    »Judith, hallo! Ich bin hier aufgehalten worden. Jetzt komme ich aber sofort. Wo seid ihr?«
    »Zu Hause.«
    »Wie seid ihr denn nach Hause gekommen? Es geht von dort doch gar kein Bus?«
    »Wir haben Mama angerufen. Die ist gleich gekommen und mit uns nach Hause gefahren.«
    »Dann gib mir doch bitte Mama jetzt mal.«
    »Mach ich. Tschüss!«
    Da es meist Astrid war, die den Chauffeur für die Kinder spielte, hatten sie gar nicht erst versucht, ihn zu erreichen, sondern sich gleich an ihre Mutter gewandt. Angermüller seufzte und machte sich auf eine geballte Ladung von Vorwürfen gefasst. Doch als sie ans Telefon kam, war sie völlig ruhig und sachlich.
    »Es tut mir wirklich leid, Astrid, aber wir hatten hier eine

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