Steilufer
geklinkerten Mietshauses, das erste in einer Reihe von fast identischen Häusern, die wahrscheinlich aus den 30er Jahren stammten und sofort erklang der Summer. Ihren Besuch hatten sie angesichts der späten Stunde telefonisch angekündigt und die junge Frau, die im Erdgeschoß ihre Wohnungstür öffnete, erwartete sie schon. Angermüller schätzte ihr Alter auf Ende 20. Sie war nicht sehr groß, hatte helles, langes Haar, ein offen wirkendes Gesicht, in dem vor allem die frischen, roten Wangen auffielen, und begrüßte sie zwar freundlich, aber mit offensichtlicher Nervosität. Sie bat die Beamten aus dem winzigen Flur in ein nicht gerade geräumiges Wohnzimmer, das mit einer blauweiß geblümten Couchgarnitur und Regalwänden aus hellem Holz eingerichtet und damit auch ausgefüllt war. Die Regale bargen vom Boden bis zur Decke, exakt auf Kante einsortiert, CDs, Bücher und Fotoalben, dazwischen – ebenfalls systematisch angeordnet – allerlei Nippes in Blau und Weiß, die Vorhänge waren blauweiß geblümt und der Fleckerlteppich auf den abgezogenen Holzdielen war ebenfalls blauweiß gemustert.
»Wissen Sie etwas über Fouhad? Möchten Sie sich vielleicht setzen? Entschuldigen Sie, aber ich bin völlig fertig. Die ganze Zeit überlege ich, wo er sein kann, ob ihm etwas passiert ist – ich bin so froh, dass Sie jetzt gekommen sind. Jetzt wird wenigstens was getan.«
Sie hatte sich auf die vorderste Kante des Sofas gesetzt, presste ihre zu Fäusten geballten Hände unters Kinn und sah Angermüller und seinen Kollegen mit großen Augen an.
»Ja, Frau Lentz.« Angermüller räusperte sich. Angesichts der Hoffnungen, die die junge Frau in ihren Besuch setzte, war ihm die Situation alles andere als angenehm.
»Am besten, Sie erzählen uns noch einmal, seit wann Sie ihren Freund vermissen und vielleicht haben Sie ja ein Foto von ihm für uns.«
»Ja klar, hab ich das!«
Jenny Lentz sprang sofort auf und zog ein blaues Fotoalbum aus einem der Regale, das von oben bis unten mit weiteren Alben voll war, alle in Blau oder Blauweiß gebunden. Die eingeklebten Bilder, offensichtlich auf einer Grillparty aufgenommen, stammten von vor drei Wochen, wie Angermüller an den in kindlich ordentlicher Schrift da-runter gemalten Texten erkennen konnte. Auf den meisten lächelte ein sympathisch wirkender junger Mann mit schwarzen Locken allein, mit anderen jungen Leuten oder mit Jenny Lentz in die Kamera.
»Das ist Fouhad«, sagte sie und deutete auf ein Portraitfoto.
»Wie lange kennen Sie ihn schon?«, wollte Angermüller wissen.
»Seit Silvester sind wir zusammen, das ist jetzt schon über ein halbes Jahr!«, antwortete die junge Frau nicht ohne Stolz auf dieses Jubiläum.
»Und seit wann vermissen Sie ihn?«, fragte Jansen.
»Seit Donnerstag eigentlich. Er hatte da seinen freien Tag und normalerweise kommt er mich dann immer mittags in der Wäscherei abholen und an diesem Donnerstag ist er nicht gekommen.«
»Sie haben ihn erst…« Jansen schaute auf seine Notizen und sagte dann: »Sie haben aber erst gestern die Vermisstenanzeige aufgegeben.«
»Na ja«, die junge Frau zögerte. »Wir hatten uns letztes Wochenende gestritten und seitdem auch nicht miteinander telefoniert. Als er nicht gekommen ist, dachte ich natürlich, das ist noch wegen dieser dummen Streiterei.«
»Worum gings denn?«, wollte Jansen wissen.
»Ach, nichts Wichtiges eigentlich. Es ging um den Geburtstag meiner Mutter. Wir sind da beide eingeladen. Der ist nächstes Wochenende und Fouhad sagte, er kommt nicht mit, weil da wieder viele von meinen Verwandten sind und die alle Nazis sind.«
»Wie kommt er denn darauf?«
Jenny Lentz schien zu überlegen, wie sie sich am besten ausdrücken sollte.
»Natürlich machen manche von denen so dämliche Bemerkungen. Sie nennen ihn immer nur Ali und fragen nach seinem Harem. Fouhad isst kein Schweinefleisch, aber nicht wegen der Religion, sondern weil er es einfach nicht mag. Na ja, und die versuchen immer wieder, ihm welches anzudrehen und finden das furchtbar witzig«, sie hob resigniert die Schultern. »Oder sie machen halt irgendeinen anderen Blödsinn. Manchmal reden sie auch über die ganzen Ausländer, die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Aber die meinen das nicht persönlich, das ist nur Gerede.«
»Und Ihr Freund sieht das anders?«
»Fouhad sagt, dass sie nicht so reden würden, wenn sie anders darüber dächten und dass er mit solchen Leuten nicht an einem Tisch sitzen will. Aber,
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