Steilufer
weniger Personal bei stetig knapper werdenden finanziellen Mitteln. Angermüller beneidete die Quartiersmanager und Sozialarbeiter nicht, die hier mit Bürgertreffs, Jugendcafés, frischer Farbe und Aufforstung der mickrigen Rasenflächen einen wenig aussichtsreichen Kampf gegen Verwahrlosung, Elend und Trostlosigkeit führten.
Sie klingelten vergeblich. Priewe schien nicht zu Hause zu sein. Auch den Lieferwagen konnten sie nirgends entdecken.
»Wat nu?«, fragte Jansen, als sie wieder in ihrem Audi saßen.
»Ich schlag vor, wir schaun mal beim ›Studio 88‹ vorbei.«
»Du meinst diese Muckibude, die immer wieder in den Akten auftauchte? Gut kombiniert, Herr Kommissar! Nur vom Kistenschleppen hat der Priewe seine Muskelpakete bestimmt nicht!«
»Und es liegt hier gleich um die Ecke, in Moisling.«
Kurz darauf bogen sie durch eine Einfahrt auf ein großes Industriegelände. Links residierten mehrere kleine Speditionsbetriebe und eine Importfirma für asiatische Lebensmittel. In einem Flachbau auf der rechten Seite wies eine bunte Schildersammlung am Eingang auf die verschiedensten Gewerbe hin, von einer Glaserei über ein Fotostudio bis zu einem Schädlingsbekämpfungsunternehmen. Das zweistöckige Haus an der Stirnseite stand im Erdgeschoß leer, nur über einem der Fenster im ersten Stock stand in großen altdeutschen Lettern ›Studio für Körperkultur 88!‹.
»Net grad sehr schick hier«, murmelte Angermüller angesichts der ziemlich heruntergekommenen Gebäude, von Müll überquellender Container und großer Löcher im Asphalt. »Aber die richtige Adresse!« Er wies zum Aufgang des ›Studio 88‹, vor dem der Wagen des ›Gourmet-Profi‹ parkte.
Gerade wollten sie aus dem Auto steigen, da hielt Angermüller seinen Kollegen zurück:
»Warte mal!«
Als Jansen ihm einen verwunderten Blick zuwarf, deutete er zu einer Außentreppe, über die Maik Priewe soeben in Begleitung eines halbwüchsigen Jungen das Studio verließ.
»Ich erklärs dir gleich!«, murmelte er und zog sich so weit wie möglich von der Windschutzscheibe in den Schatten des Autos zurück. Doch die beiden auf der Treppe redeten und lachten und warfen keinen Blick in Richtung des geparkten Audis. Sie stiegen in den Lieferwagen, der gleich darauf mit quietschenden Reifen durch die Hofeinfahrt preschte.
»Bleib mal an ihm dran!«
»Klaro – und?«, fragte Jansen, während er sich in den lebhaften Verkehr auf der Hamburger Straße einfädelte.
»Der Junge bei Priewe – das war mein Neffe«, Angermüller schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich hätt ihn fast net erkannt. Beim letzten Mal hatte er noch längere Haare. Der ist jetzt 16 oder 17, der Marco. Was hat der mit diesem rechten Schläger zu tun?«
»Scheiße«, war Jansens ganzer Kommentar. Der ›Gourmet-Profi‹ fuhr in Richtung Innenstadt, bog dann aber ab zur Autobahn und nahm die Abzweigung nach Travemünde. Konzentriert folgte Jansen dem in hohem Tempo fahrenden Wagen in angemessenem Abstand. Angermüller versuchte, die Gedanken zu ordnen, die ihm wegen seines Neffen durch den Kopf gingen.
Im Grunde kannte er Marco gar nicht. Als die Kinder noch klein waren, hatte man sich öfter an den Wochenenden getroffen und gemeinsam etwas unternommen. Seit einigen Jahren sah er Astrids Schwestern und ihre Familien nur noch an Weihnachten, Ostern oder bei Familienfeiern und wenn die Kinder zu pubertierenden Jugendlichen wurden, so wie Marco oder auch seine Nichte Stefanie, dann gestaltete sich die Kommunikation sehr heikel oder sie fand gar nicht statt. Ein wenig graute Angermüller bereits davor, seine beiden Töchter an diese seltsame Zwischenzeit zu verlieren, in der Erwachsene zu peinlichen Figuren werden und die jungen Menschen nur noch ihresgleichen als ihrer Aufmerksamkeit für wert befinden. Doch dieser Priewe, immerhin ja auch ein Erwachsener, hatte offensichtlich einen Zugang zu Marco gefunden. Seinen Neffen in vertrautem Kontakt mit einem bereits straffällig gewordenen Neonazi zu wissen, beunruhigte Angermüller zutiefst.
Der ›Gourmet-Profi‹ nahm die Ausfahrt zu einer Tankstelle, die Beamten stoppten ebenfalls und warteten etwas abseits am Rand des Geländes. Priewe und Marco verschwanden im Verkaufsraum und als sie wieder auftauchten, hatten sie einige Sixpacks mit Bierdosen unterm Arm, verstauten sie im Wagen und fuhren wieder los.
»Na, sach ma! Ob das nu Zufall is?«
Jansen bremste ab, während der blaue Lieferwagen in einer Staubwolke viel zu schnell in
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