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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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ausgebrochen! Wirklich. Endlich. Das hörbare Grinsen der ewig gut gelaunten Moderatoren privater Musiksender wuchs ins Unerträgliche, Hoteliers und Gastronomen an der Küste schöpften Hoffnung für die sehr mäßig gestartete Saison und Angermüller hatte von Cordhose und Sweatshirt zu einer leichten Baumwollhose und Polohemd gewechselt – nicht, ohne bedauernd festzustellen, dass die Hose, die er sich im letzten Sommer gekauft hatte, am Bund ein wenig spannte.
    Er saß mit Jansen in seinem Büro, einem schmucklosen, kleinen Raum, in den jetzt ungehindert die Sonne strahlte, da die automatische Jalousie aus unerfindlichen Gründen gerade heute den Dienst versagte. Eher lustlos blätterten die beiden Beamten in dem Material, das die Kollegen vom Staatsschutz aus dem neunten Stock zum Thema ausländerfeindliche Straftaten zusammengetragen hatten.
    Ohne es dem anderen zu sagen, wartete jeder nur auf die Ergebnisse des Abgleichs der genetischen Daten des Toten vom Steilufer mit denen des vermissten Mitarbeiters aus der ›Villa Floric‹. Auch wenn sie niemandem Schlechtes wünschten, hofften Angermüller und Jansen, dass sie identisch sein würden, damit sie endlich wüssten, nach wessen Mörder sie eigentlich zu suchen hatten.
    Eine Mischung aus Unwissenheit und Verblendung, Dummheit, roher Gewalt und unmenschlichem Hass schlug ihnen aus ihrer Lektüre entgegen. Da gab es Ausländer verprügelnde Skinheads ebenso wie biedere Bürger, die Flugblätter volksverhetzenden Inhalts herausgaben oder Musikgruppen, die eindeutig rechtes Gedankengut in den Texten zu ihrer Krawallmusik verbreiteten. Es gab Netzwerke von Rechten, die vorgaben, die sozial Schwachen und Benachteiligten unterstützen zu wollen, in Wahrheit aber nur daran interessiert waren, ihren nationalen Nachwuchs zu rekrutieren, zweite Weltkriegsteilnehmer, die um den Ruf der Wehrmacht besorgt waren und einen Verleger, der antisemitische Pamphlete druckte. Das war keine homogene und schon gar keine Massenbewegung, nichts, was die Demokratie in ihren Grundfesten bedrohte, dennoch fand Angermüller es erschreckend, wie viele Menschen sich offensichtlich in diesem Staat nicht zu Hause fühlten.
    »Ach nee!«, entfuhr es Jansen mit einem Mal und er reichte seinem Kollegen ein Foto über den Schreibtisch.
    »Kennste den?«
    »Aber natürlich! Das ist doch der Rennfahrer von gestern!«
    »Genau! Unser ›Gourmet-Profi‹! Maik Priewe, Jahrgang 78, stammt aus einem Kaff bei Schwerin. Wurde verdächtigt, dort einem Vietnamesen die Imbissbude angesteckt zu haben, es konnte ihm aber nichts nachgewiesen werden. Er war Mitglied in der ›Nationalen Kameradschaft Nordgau‹, aus der er wegen Disziplinlosigkeit und anderer Unstimmigkeiten mit den Kameraden rausgeflogen ist. Bekam diverse Anzeigen wegen Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung – meistens von Ausländern. Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen.«
    »Das ist ja ein richtig sympathisches Bürschle!«
    »Du sagst es! Verurteilt wurde er zu zwei Jahren wegen Rädelsführerschaft bei einem Angriff auf eine Gedenkveranstaltung am Cap-Arcona-Ehrenfriedhof bei Neustadt. Vor einem halben Jahr entlassen. Neulich gabs Ärger wegen Ruhestörung: angeblich eine Geburtstagsfeier, war aber ein nicht genehmigtes Konzert dieser Nazirocker ›Wotanswuth‹, tsss! Sonst keine neuen Auffälligkeiten.«
     
    Ein Anruf beim ›Gourmet-Profi‹, dem Edelgastronomie-Lieferservice mit Sitz im Hamburger Hafen, ergab, dass Maik Priewe heute nur eine kleine Tour hatte. Die nette, gesprächige Dame am Telefon erzählte Jansen, dass dieser außerdem am Mittwoch seinen freien Tag hätte und man ihn erst übermorgen wieder bei seiner Arbeitsstelle erwartete.
    »Bestimmt fährt der Maik zum Strand – bei dem tollen Wetter heute!«, meinte sie dann noch und es war ihr anzuhören, dass sie bedauerte, nicht dabei sein zu können.
    Gemeldet war Priewe im Stadtteil Buntekuh und so machten sich die beiden Kommissare auf den Weg dorthin. Sie benötigten nur knapp 10 Minuten für den Weg von der Possehlstraße aus. Priewe wohnte in einem der Hochhäuser im Hudekamp – eine nicht gerade begehrte Wohnlage in der Stadt. Es war das Viertel mit der höchsten Arbeitslosigkeit, in dem die Kriminalität wucherte und das Gemisch vieler unterschiedlicher Nationalitäten auf engem, unattraktivem Raum schürte Aggressivität und Extremismus. Es brauchte viel Geduld und einen langen Atem, hier mehr Lebens- und Wohnqualität zu schaffen, mit immer

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