Stein der Dämonen
Wintersonnenwende Bahnen feuriger Lava über den Himmel ergoss und ein irrlichterndes Farbenspiel so manches Auge für immer blendete. Niemals hätte die Schlacht an jenem Ort und zu jener Zeit stattfinden dürfen. Vergebens war der Tod so vieler tapferer Krieger gewesen, das Leid so vieler Frauen und Kinder.
Am Ende der Strickleiter angelangt, wurde Mythor schon von Hark und Pandor erwartet. Die Tiere schienen sich in der Nähe der versteinerten Felsen nicht wohl zu fühlen und versuchten sofort, ihn in die Steppe hinaus zu drängen.
»Das Einhorn…«
Mythor vernahm den unterdrückten Ausruf und wandte sich um. Mit einer verlegen wirkenden Geste streckte der Hüne ihm die Hand entgegen.
»Ich bin Rochad«, sagte er. »Und du musst jener Mythor sein, von dem mancher erzählt. Sei unser Gast, solange du willst. Immerhin verdanken wir dir viel.« Er winkte die anderen zu sich heran und nannte auch ihre Namen. »Meine Tochter Mistra wird dir sicher bereits aufgefallen sein. Sie versteht es, wie ein Mann zu kämpfen, und hat auch sonst vieles mit mir gemein.«
Unwillkürlich musste Mythor grinsen. Ganz im Gegensatz zu ihrem Vater war das Mädchen nur etwa fünf Fuß und eine Handbreit groß, zartgliedrig, beinahe knabenhaft im Wuchs. Das rotbraune Haar fiel ihr offen bis auf die Schultern. Es harmonierte gut mit ihren großen dunklen Augen und unterstrich ihr verträumtes Wesen ebenso wie die kleine Nase und der ebenfalls kleine, aber volllippige Mund. Sie mochte etwa neunzehn Sommer zählen. Mythor fühlte ihren Blick zaghaft über seinen Körper tasten. Aber als er aufsah, stand in ihren Augen keine betörende Sinnlichkeit geschrieben, sondern eher Bewunderung und eine wohl schwärmerisch zu nennende Neugierde.
Mistra zuckte zusammen, als sie endlich bemerkte, dass der Krieger sie beobachtete. Die Röte der Verlegenheit huschte über ihre Wangen. Mythor versuchte ein Lächeln und wusste im selben Moment, dass er dieses Mädchen für sich gewonnen hatte.
Rochad mochte es wohl ebenfalls nicht entgangen sein. »Du begleitest uns also«, stellte er geradeheraus fest. »Die Nacht ist nahe, und die Vogelreiter sehen nicht gerne Fremde aus dem Norden.«
»Heymals?«
»Ja. Auch sie haben sich entlang der Straße des Bösen niedergelassen, um die wachsenden Berge daran zu hindern, auf fruchtbares Land vorzudringen.«
Aus der Ferne erklang Hufgetrappel, das rasch näher kam. Es war nur ein einzelner Reiter, aber er führte sieben Pferde hinter sich her.
»Wir können die Tiere nicht den ganzen Tag über in der Nähe der Felsen anpflocken«, erklärte Rochad. »Über kurz oder lang würden sie scheuen und durchgehen.«
»Was macht ihr eigentlich?« wollte Mythor wissen.
»Ich bin Fischer«, erwiderte Rochad. Er schien der Meinung zu sein, damit alles gesagt zu haben.
Drei der Pferde blieben ledig. Diejenigen, für die sie bestimmt gewesen waren, mochten beim Kampf mit den Schnecken den Tod gefunden haben. Mythor schwang sich in den Königssattel, dem manch bewundernder Blick galt, und ritt zwischen dem Fischer und seiner Tochter entlang der Straße nach Süden.
Die Sonne senkte sich bereits zur Ruhe, und ihr Schein tauchte das Land in ein seltsames Licht, das die Entfernungen zusammenschrumpfen ließ, als man eine kleine Ansiedlung erreichte. Aus roh zugeschlagenen Steinen und Balken errichtete Hütten duckten sich tief in die Steppe. Mythor zählte zwölf dieser zum Teil windschiefen Gebäude, die alle zusammen von einer fast mannshohen Mauer umgeben waren – vermutlich zum Schutz vor umherstreifenden Raubtieren. Die einzige Pforte, die er sah, konnte rasch verschlossen werden.
Aus etlichen Kaminen kräuselte sich Rauch in den Abendhimmel. Es war längst nicht mehr so kalt wie während des Tages. Allerdings würde es auch eine Nacht ohne den Schimmer der Sterne sein, und selbst der Mond verbarg sich hinter den Wolkenbänken.
»Du kannst in meinem Haus schlafen«, sagte Rochad, als sie abgesessen waren. »Mistra stellt dir sicher ihre Liegestatt zur Verfügung. Sie wird etwas anderes finden.«
Das Mädchen nickte eifrig.
»Ich bin es gewohnt, im Freien zu nächtigen«, wandte Mythor ein. Aber um den Fischer, der entschieden ablehnte, nicht zu beleidigen, stimmte er schließlich doch zu.
»Nur eines noch«, wollte er dann wissen. »Wer nannte dir meinen Namen?«
Da war die Hoffnung, Nottr und Steinmann Sadagar könnten es gewesen sein. Sicher warteten sie bereits beim Koloss von Tillorn auf ihn und machten
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