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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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das alles gar nichts an. Lauscher mußte von seinem Sitz aus zu ihm aufblicken, und das ärgerte ihn. »Wessen beschuldigst du ihn?« fragte er den Verwalter.
    »Er hat dich bestohlen«, sagte der Alte und zog einen Lederbeutel aus der Tasche, den Lauscher sogleich als jenen erkannte, in dem er seinen Augenstein bei sich getragen hatte.
    »Ist in dem Beutel ein Stein?« fragte er.
    »Ja«, sagte der Verwalter.
    »Nimm ihn heraus und lege beides auf den Tisch«, sagte Lauscher.
    Der Verwalter öffnete den Beutel, ließ den Stein auf den Tisch rollen und legte den Beutel daneben. Der Stein schimmerte matt, doch seine Farben blieben unter der glatten Oberfläche verborgen.
    »Warum hast du ihn genommen?« fragte Lauscher den Beschuldigten. Der Pferdeknecht blickte gleichmütig auf Lauscher herab, als habe er nichts zu befürchten.
    »Ich habe den Beutel nicht gestohlen«, sagte er. »Die Herrin hat ihn mir gegeben.«
    Lauscher blickte hinüber zu Gisa und sah, daß ihre Augen dunkel vor Zorn waren. »Geschwätz eines Stallburschen!« sagte sie, stand auf und kam herüber. Neben dem Tisch blieb sie stehen und betrachtete den Stein. »Zu viel Geschrei um das wertlose Ding«, sagte sie geringschätzig.
    »Wertlos oder nicht«, sagte Lauscher, »er gehörte mir. Hat er ihn nun gestohlen oder von dir bekommen?«
    »Warum sollte ich dir diesen Kiesel nehmen, wo ich dir tausendfach wertvollere Steine schenken kann?« sagte Gisa. »Dem frechen Lügner soll es genauso ergehen wie diesem billigen Plunder!« Bei diesen Worten raffte sie den Stein vom Tisch und warf ihn in weitem Schwung hinaus durch das offene Fenster. Für einen Augenblick blitzte er draußen in der Sonne auf, dann war er verschwunden.
    »Warum nennst du mich einen Lügner, Gisa, wo du weißt, wie es in Wahrheit gewesen ist?« fragte der Pferdeknecht zornig.
    »Ich nenne dich, wie es mir gefällt«, sagte Gisa, »denn du gehörst mir.«
    »Ja«, sagte der Pferdeknecht, »ich gehöre dir wie alles hier, so weit das Auge reicht. Auch der Mann hier auf dem Richterstuhl gehört dir und tut nichts anderes als deinen Willen. Du hast ihm das einzige genommen, das er besaß, und ihn dann mit Geschenken überhäuft, damit alles, was er hat, von dir kommt. Du hast ihn gekauft, damit er dir zu Willen ist und dein Spiel mitspielt.« Er wandte sich von ihr ab und blickte Lauscher an. »Merkst du nicht, Lauscher, daß du hier nicht mehr zu sagen hast als irgendeiner von uns? Oder gefällt es dir, ein Sklave zu sein?«
    Da sprang Lauscher auf, daß der Richterstuhl hinter ihm umstürzte, und schrie blind vor Zorn: »Schneidet ihm die Zunge heraus und jagt ihn in die Wälder!«
    Der Verwalter ließ den Verurteilten von seinen Knechten aus der Halle schleppen. Gisa aber trat auf Lauscher zu und sagte: »So wird auf Barleboog Recht gesprochen.« Dann nahm sie ihn in die Arme und küßte ihn auf den Mund.
    Lauscher klammerte sich an sie, bis er wieder klar sehen konnte. Dann löste er sich aus ihrer Umarmung und blickte ihr nachdenklich in die Augen.
    »War es Recht, was ich gesprochen habe?« fragte er.
    »Wer Recht spricht, darf nicht an sich zweifeln«, sagte Gisa, »sonst ist er verloren. Komm, wir wollen zur Jagd ausreiten, damit dein Zorn verfliegt.«
    Ehe sie den Saal verließen, nahm Lauscher den leeren Beutel vom Tisch und steckte ihn ein. Im Hof ließen sie die Pferde satteln, nahmen ihre Jagdbogen und Pfeile und galoppierten, gefolgt von der Hundemeute, hinaus über die Zugbrücke und hinunter ins Tal.
    Am Waldrand stöberten die Hunde einen Hirsch auf und hetzten ihn kläffend durch das Unterholz. Lauscher setzte ihnen nach, Zweige peitschten sein Gesicht, Dornenranken rissen an seinen Kleidern, aber er spornte sein Pferd an und trieb es tief in den Wald, wo das Gebell der Hunde zu hören war. Auf einer kleinen Lichtung hatten die Hunde den Hirsch gestellt. Er stand mit gesenktem Geweih vor dem Stamm einer uralten Eiche und forkelte eben einen der Hunde zu Tode. Lauscher legte einen Pfeil auf die Sehne, spannte den Bogen und schoß. Federnd fuhr der Pfeil dem Hirsch ins Blatt. Das Tier warf röchelnd den Kopf zurück und brach zusammen. Während Lauscher die Hunde von dem erlegten Wild fortpeitschte und an die Leine nahm, trabte Gisa auf die Lichtung. Sie stieg ab und begutachtete sachkundig den Schuß.
    »Du hast gut getroffen«, sagte sie. »Hier ist ein angenehmer Platz. Wir wollen rasten und frühstücken.«
    Lauscher breitete im Schatten der Eiche seine Satteldecke

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