Stein und Flöte
aber als er jetzt daran dachte, wie er am Morgen des gleichen Tages Recht gesprochen hatte, war ihm durchaus nicht mehr so leicht zumute wie eben noch. Ich muß verhext gewesen sein, dachte er. Sie hat mich verhext vom ersten Augenblick an. Mit Grausen erinnerte er sich an den Pferdeknecht, dem er die Zunge hatte herausschneiden lassen, weil er die Wahrheit gesagt hatte. Irgendwo hier würde er jetzt durch den Wald irren.
Plötzlich ergriff ihn panische Angst, daß er ihm begegnen könnte. Er sprang so hastig auf, daß die Amsel erschreckt hochflatterte. Einen Augenblick blieb sie über ihm auf einem Zweig sitzen und flötete ihren Dreiklang. Dann flog sie hinaus ins Freie, umkreiste einmal die Lichtung und strich dann über die Baumwipfel davon, immer nach Westen.
Lauscher zog den Lederbeutel aus der Tasche, verwahrte den Stein darin und hängte ihn um den Hals. Dann raffte er hastig die restlichen Essensvorräte zusammen, verstaute sie in seiner Packtasche, sattelte sein Pferd und stieg auf. Noch einmal blickte er zu der Stelle, an der Gisa verschwunden war. Dann wendete er sein Pferd und ritt so schnell er konnte in den Wald, immer nach Westen, weg von Barleboog.
Lauscher kam an diesem Tag nur langsam voran. Ohne Weg und Steg ritt er immer weiter nach Westen, den Berg auf durch den Wald, trieb sein Pferd durch dichtes, von zähen Geißblattranken durchwobenes Unterholz und mußte oft absteigen, um einen Durchschlupf zu suchen. Während er mühsam mit zurückschnellenden Zweigen und widerstrebenden Ranken kämpfte, meinte er seitwärts im Dickicht Zweige knacken zu hören, als dränge sich ein großes Tier hindurch. Doch sobald er sein Pferd anhielt, war nichts mehr zu hören.
Je höher er kam, desto düsterer wurde der Wald. Statt der Buchen und Eichen, durch deren Laub das Licht grünlich hindurchgeschimmert hatte, waren es turmhohe Fichten und Tannen, zwischen deren Stämmen er jetzt bergauf ritt. In diesem Schattendunkel gab es kaum Unterholz, so daß Lauscher im Sattel bleiben konnte. Obwohl der weiche Nadelboden den Hufschlag des Pferdes dämpfte, war hier kaum ein Geräusch zu hören, kein Vogelschrei, kein unvermutetes Rascheln. Dann lockerte sich der Baumbestand auf, und Lauscher sah vor sich den Kamm eines Bergrückens, auf dem nur noch einzelne, von Wind und Wetter bizarr verformte Fichten standen. Er trieb seine Stute an; denn ihm schien, daß der Bannkreis von Barleboog hinter dem Höhenrücken enden müsse.
Oben zwischen den Wetterfichten blickte er sich noch einmal um, hinunter über den in langen Wellen abfallenden Waldhang in das grüne Tal, in dessen Mitte das Schloß seinen Schatten über die Wiesen warf. Dann wendete er sein Pferd und ritt auf der anderen Seite in den Wald hinab.
Gegen Abend kam er zu einem träge zwischen verknäulten Baumwurzeln dahinrinnenden Bach und beschloß, hier für die Nacht zu bleiben. Er sattelte sein Pferd ab, ließ es aus dem Bach trinken und setzte sich auf einen bemoosten Stein. Als er jetzt still saß und von den Resten des Jagdfrühstücks aß, drangen die Geräusche des Waldes nach und nach in sein Bewußtsein, verhaltene Vogelrufe, unvermitteltes Rascheln im welken Laub am Boden, das Knacken dürrer Äste unter dem Tritt eines Tieres, das ferne Raunzen einer Wildkatze – überall regte sich heimliches Leben, und Lauscher fühlte sich von tausend Augen beobachtet.
Damit seine wenigen Vorräte nicht von irgendeinem Nachttier gefressen würden, schnürte er sie in ein Bündel, das er mit dem Halfterriemen an einen Ast hängte. Dann rollte er sich in seine Decke und schloß die Augen. Doch mit steigernder Dunkelheit nahmen die Geräusche zu und schienen immer näher zu kommen. Glucksend rann der Bach über den steinigen Grund, über ihm im Geäst schrie ein Käuzchen. Dann hörte er dicht neben seinem Kopf ein Platschen im Wasser. Erschreckt riß er die Augen auf und erblickte dicht vor seinem Gesicht eine dicke Kröte, die ihn ohne zu blinzeln mit ihren goldbraunen Augen ansah.
»Was hast du doch für schöne Augen«, sagte Lauscher.
Die Kröte rückte noch ein Stück näher, und ihre warzige Haut überlief ein violetter Schimmer. Das war wohl ihre Art zu erröten.
»Es gibt wenig Menschen, die das merken«, sagte sie geschmeichelt. »Die Herrin von Barleboog hat dich offenbar noch nicht ganz verdorben.«
»Schlimm genug, was ich dort bei ihr getan habe«, sagte Lauscher bekümmert.
»Schlimm genug, schlimm genug«, bestätigte die Kröte. »Es war
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