Stein und Flöte
verrückt gemacht hat, und er sorgte zwischendurch dafür, daß auch wir etwas zu lachen hatten. Inzwischen sind alle unsere Leute aus den Bergwerken mitsamt diesen lustigen Gesellen ins Tal unterwegs, und ich bin vorausgelaufen, um dir Bescheid zu sagen.«
Als er das gehört hatte, nickte Barlo, setzte seine Flöte an den Mund und sagte: »Wir reiten im ersten Morgengrauen zum Schloß. Hol deinen Esel aus dem Stall, Lauscher, und sage auf den Nachbarhöfen Bescheid. Und dich, Eldar, bitte ich, die Leute jenseits des Flusses zu verständigen. Sag ihnen, sie sollen ihre Bogen nicht vergessen. Für dich, Bragar, liegt auch schon einer bereit.«
Eldar sattelte eine hochbeinige braune Stute. Lauscher wunderte sich, wie groß der Bauer plötzlich wirkte, nachdem er aufgestiegen war. Als sie durch die Einfriedung des Hofes geritten waren, hielt Eldar sein Pferd noch einmal an und beschrieb Lauscher den Weg zu den Höfen, die er aufsuchen sollte. »Kann ich dir nicht den längeren Weg abnehmen?« fragte Lauscher; denn es tat ihm leid, daß Eldar in dieser Nacht das halbe Tal abreiten mußte, statt mit seinem Sohn zu reden. Doch der Bauer schüttelte den Kopf. »Du wirst bei Nacht die Furt nicht finden, durch die man über den Fluß kommt«, sagte er, trieb sein Pferd an und galoppierte den Weg ins Tal hinunter, als sei heller Tag.
Lauscher mußte es seinem Esel überlassen, daß er in dieser Dunkelheit den Weg weiter hinauf ins Tal fand. Zunächst konnte er nicht einmal die Rasenstreifen am Wegrand erkennen, doch nach und nach lichtete sich die Finsternis auf, Bäume und Büsche hoben sich schattenhaft auf dem Wiesenhang ab, und dann war plötzlich die fein gezahnte Silhouette des Waldes vor dem überzogenen Himmel erkennbar. Lauscher ritt jetzt schneller; denn der Weg lag nun deutlich sichtbar vor ihm. Weiter vorn in der Tiefe schien ein Licht über dem Talgrund zu schweben. Lauscher hielt seinen Esel an und starrte hinüber. An der Stelle, wo dieses schwache Flimmern in der Nacht hing, mußte das Schloß von Barleboog auf seinem Hügel stehen. Auch dort war man noch wach. Lauscher fragte sich, was jetzt in den hohen Räumen vorgehen mochte, und ein Frösteln lief über seinen Rücken. Doch dann schüttelte er das aufsteigende Grauen ab und ließ seinen Esel weitertraben.
Rechts begann jetzt neben dem Weg ein Obstgarten. Die Kronen der blühenden Apfelbäume standen wie eine helle Wolke über dem dunklen Gras. Während Lauscher daran vorüberritt und den Duft der Blüten roch, hörte er einen Dudelsack spielen. Dann sah er hinter den Bäumen die hellen Fenster des nächsten Hofes. Auch hier waren die Leute noch munter und tanzten stampfend zur Musik des Spielmannes, den sie zu Gast hatten.
Lauscher stieg von seinem Esel, öffnete das Zauntor und ging zum Haus. Einen Augenblick blieb er vor der Tür stehen, lauschte der näselnden Melodie über den brummenden Bässen und hörte das Lachen der Tänzer. Dann klopfte er. Im gleichen Augenblick brach die Musik ab, das Lachen erstarb, die Tänzer rührten sich nicht. Er hörte Tuscheln. Dann kamen Schritte auf die Tür zu, und ein Mann fragte, wer draußen sei.
»Botschaft von Barlo«, sagte Lauscher so laut er konnte. Da wurde der Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet. Lauscher sah nur den Umriß des Mannes vor dem hellen Hintergrund. »Komm herein«, sagte der Mann. Doch dazu hatte Lauscher keine Zeit, und er sagte, daß er die Nachricht noch zu den anderen Höfen bringen müsse. »Beim ersten Morgengrauen sollen alle zum Schloß reiten«, sagte er. »Und vergeßt eure Jagdbogen nicht.«
»Das ist die beste Nachricht, die ich seit Jahren gehört habe«, sagte der Mann. »Sag Barlo, daß wir pünktlich zur Stelle sein werden. Du kannst ruhig umkehren. Ich sage auf den anderen Höfen Bescheid, denn ich kenne hier die Wege besser als du.«
Später wurde erzählt, daß in dieser Nacht keiner im Tal geschlafen habe. In allen Häusern saßen die Leute beieinander, hörten den Geschichtenerzählern zu, sangen die Lieder der Spielleute mit und lachten über ihre Späße. Aber ihr Lachen war grell und hektisch, als solle es die Spannung zudecken, mit der jeder auf das Morgengrauen wartete. Immer wieder einmal stand einer auf und ging vor die Tür, um nachzusehen, ob der Himmel über den Wäldern im Osten schon hell wurde.
Lauscher war zu Eldars Hof zurückgeritten, hatte Jalf wieder in den Stall geführt und hatte dann eine Zeitlang bei den anderen in der Stube
Weitere Kostenlose Bücher