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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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wieder Gisas gezeichnetes Gesicht, und jetzt sah er auch die Angst, die in ihren eisigen Augen flackerte. »Den Stein!« schrie sie. »Gib mir den Stein!« Da nahm er den Stein aus dem Beutel und ging quer durch den Saal auf Gisa zu. Der Weg schien ihm ohne Ende, und er mußte all seine Kraft aufbringen, um seine Füße vom Boden zu lösen, aber er ging Schritt für Schritt, bis er vor Gisa stand, die nur noch auf den Stein in seiner Hand starrte.
    »Was willst du mit meinem Stein?« fragte er.
    Da packte Gisa seine Hand und preßte sie mitsamt dem Stein auf ihre Stirn. Einen Augenblick stand sie wie erstarrt, und dann schrie sie so gellend auf, daß alle im Saal bis ins Mark erschraken. Lauscher wagte nicht, sich zu bewegen; dann lockerte sich Gisas Griff und sie schob seine Hand weg.
    Das Mal war verschwunden. Doch dies war nicht die einzige Veränderung, die mit Gisa vor sich gegangen war. Lauscher blickte sie an und fragte sich, wer diese Frau war, die hier vor ihm stand. Das konnte nicht mehr die böse Herrin sein, die mit den Wölfen durch den Wald getrabt war; denn aus diesem Gesicht war jede Gier nach Blut und Macht geschwunden. War dies das Mädchen, zu dem die Freier in Scharen das Tal hinaufgezogen waren? So mochte Gisas Gesicht damals ausgesehen haben. Sie schaute ihn an, als sei er eben erst nach langer Reise zu ihr zurückgekehrt.
    »Bist du endlich wiedergekommen, Lauscher?« fragte sie leise.
    »Ja, ich bin wiedergekommen«, sagte Lauscher.
    »Ich hatte böse Träume, seit du gegangen bist«, sagte sie. »Aber jetzt bin ich aufgewacht.«
    In diesem Augenblick sah Lauscher eine Bewegung an der Rückwand des Saales, und erst jetzt entdeckte er dort im Schatten einer Mauernische die hühnenhafte Gestalt des Schloßverwalters. Dieser älteste der zottigen Knechte war also nicht mit dem Rudel gelaufen, sondern bei seiner Herrin geblieben. In seinen gelben Augen stand zugleich Haß und Angst, und er hatte die Hand gehoben, als wolle er seine Herrin vor einem gefährlichen Schritt bewahren. Doch Gisa bemerkte nichts von alledem.
    »Weißt du noch, Lauscher, wie wir zusammen durch das Tal geritten sind?« sagte sie. »Das war eine schöne Zeit.«
    »Gisa!« sagte der Zottige. Doch Gisa schien ihn nicht zu hören. »Der Wein ist noch im Keller, von dem wir damals getrunken haben«, sagte sie: »Soll ich welchen holen lassen?«
    Da trat der graubärtige Knecht an sie heran, packte sie am Arm und sagte: »Gisa! Vergiß nicht, was du versprochen hast!« Doch Gisa schüttelte seine Hand ab wie ein lästiges Tier und sagte: »Wirst du heute nacht bei mir schlafen, mein haariger Lauscher? Laß mich deinen weichen Pelz kraulen, damit du bei mir bleibst.«
    Sie streckte ihre Arme nach Lauscher aus, aber sie erreichte ihn nicht mehr. »Gisa!« schrie der Zottige, doch das war keine Warnung mehr, sondern der Entsetzensschrei eines Abstürzenden, der den letzten Halt verloren hat, und dieser Schrei schlug unversehens um in wölfisches Heulen. Alle hatten voll Entsetzen auf diesen gelbäugigen Alten gestarrt, doch von einem zum anderen Augenblick war er nicht mehr zu sehen, und auch Gisa war verschwunden. Zwei riesige Grauwölfe jagten durch den Saal, setzten zum Sprung an und flogen krachend durch splitternde Fensterscheiben.
    Lauscher hatte die erste Verwandlung Gisas noch kaum begriffen, als schon die zweite eintrat. Benommen blickte er auf die kahle Mauer, vor der er eben noch Gisas Gesicht gesehen hatte, ein weiches, mädchenhaftes Gesicht, frei von Gier und bereit zur Hingabe. Aber da war jetzt nur noch die leere Wand, und er fragte sich, ob Gisa überhaupt hiergewesen war oder ob er das alles nur geträumt hatte. Erst der beißende Wolfsgestank, der den ganzen Saal füllte, brachte ihm zu Bewußtsein, was eben vor seinen Augen geschehen war. Er ging hinüber zu dem zerschmetterten Fenster und schaute hinaus. Unter dem Schloßhügel leuchteten die Talwiesen smaragdgrün in der Morgensonne bis hinauf zu den dunklen Bergwäldern, und schon weit entfernt glitten zwei graue Tiere durch das wehende Gras der Viehweiden auf den Schatten der Bäume zu.
    Damit fand der Krieg der Spielleute gegen die Wölfe sein Ende, und was dann noch weiter geschah, kann sich jeder selbst ausmalen. Natürlich blieb das fahrende Volk noch so lange in Barleboog, bis die Hochzeit von Barlo und Eldrade gefeiert wurde. Vom Morgen bis zum Abend wurde im Schloß gefiedelt und geflötet, gesungen und getanzt. Lauscher konnte es hören, wenn er oben

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