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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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gesessen. Aber er hörte kaum, was Bragar von der Zeit erzählte, die er in den Bergwerken zugebracht hatte. Hie und da blickte Lauscher hinüber zu dem jungen Mann, dessen bleiches, bärtiges Gesicht gezeichnet war von der harten Arbeit in der Finsternis der Schächte und Stollen und der nun davon berichtete wie von einem weit zurückliegenden, gefährlichen Abenteuer, bei dem es nur noch auf das Außergewöhnliche der Ereignisse ankommt, von denen man jetzt schon sprechen kann, ohne daß aufbrechende Ängste die Stimme stocken lassen.
    Aber Lauscher sah noch immer das ferne Licht aus dem Schloß von Barleboog über dem Talgrund flimmern. Er starrte hinaus in die Schwärze, in der es keinen Haltepunkt gab außer diesem bösen Funken, diesem Keim heulender Angst, der verloren im leeren Raum schwebte, und sein Herz fror, während sein Bewußtsein sich zusammenzog in diesen einen wabernden Punkt des Grauens, auf den er bald würde zugehen müssen. Er faßte nach dem eisigen Klumpen, dessen tote Kälte seine Brust ausfüllte, und spürte unter seinen Fingern Arnis Stein. Da holte er den Beutel hervor, nahm den Stein heraus und starrte auf den Farbenkranz, der warm im Kerzenlicht schimmerte. Das steinerne Auge blickte ihn an, blaue, violette und grüne Ringe breiteten sich in pulsierenden Wellen aus und füllten die schwarze Leere, drängte die Angst an die Grenzen des Horizonts, bis es nichts mehr gab als dieses lebendige Leuchten, das von dem Auge ausstrahlte oder von dem Gesicht, das ihn aus diesen Augen anschaute, und er wußte nicht, war es das Gesicht einer uralten Frau oder eines Kindes, unter dessen Blicken sein Herz wieder anfing zu schlagen, und dann hörte er wieder diese Stimme, die wie von weither läutende Glocken klang oder wie das Gurren von Wildtauben, und die Stimme sagte: Gebrauche deinen Stein, Lauscher!
    »Ist das der Stein, auf den Gisa aus ist?« fragte Eldrade.
    Lauscher hob den Kopf und sah, daß das Mädchen vor ihm stand und auf den Stein in seiner Hand blickte.
    »Ja«, sagte Lauscher, »das ist Arnis Stein. Aber sie wird ihn nicht bekommen.«
    »Erlaubst du mir, daß ich ihn in die Hand nehme?« fragte Eldrade.
    »Gern«, sagte Lauscher und hielt ihn ihr hin.
    Eldrade nahm den Stein und schaute ihn lange an. »Er ist warm«, sagte sie.
    »Natürlich«, sagte Lauscher. »Ich trage ihn ja auf der Brust.«
    »Das meine ich nicht«, sagte Eldrade. »Er wärmt mir das Herz.«
    »Ich weiß«, sagte Lauscher.
    »Hast du ihn deshalb hervorgeholt?« fragte das Mädchen.
    »Ja«, sagte Lauscher. »Ich hatte Angst.«
    »Er wärmt einem das Herz«, sagte Eldrade noch einmal. »Bis zu diesem Augenblick habe ich Gisa gehaßt für alles, was sie dem Tal und Barlo angetan hat. Aber jetzt tut sie mir leid, denn dieser Stein wird ihr zeigen, was sie verloren hat, als sie mit den Wölfen ging.«
    Sie gab Lauscher den Stein zurück, und während er ihn in den Beutel zurücklegte, kam Bragar von draußen herein und sagte: »Es wird hell überm Wald. Wir müssen uns auf den Weg machen.«
    Kurze Zeit später ritten sie über den Wiesenhang hinunter. Im Tal hing noch die Nacht, nur im Osten schnitt jetzt die bewaldete Bergkette scharf in den blassen Himmel. Lauscher sah die breiten Umrisse von Eldar und Bragar, die vor ihm dahintrabten, den langen Jagdbogen in der Linken, zwei Zentauren, die Wölfen auf der Spur sind. Dann tauchten aus dem Dunkel andere Reiter auf und schlossen sich ihnen an, unter ihnen auch Spielleute, denen man Pferde geliehen hatte, wenn sie selber keines besaßen. Als sie den Talgrund erreicht hatten und auf das Schloß zuritten, das jetzt düster vor ihnen aufragte, begannen Flöten und Dudelsäcke Barlos Lied zu spielen, immer mehr von den Männern sangen mit, und dieses Singen und Lachen breitete sich über das ganze Tal aus; denn nun sah Lauscher im fahlen Morgenlicht auch die Arbeiter aus den Bergwerken vom oberen Talende herankommen. Ihr Zug teilte sich und begann den Schloßhügel von beiden Seiten zu umfassen. Dann waren auch die Reiter heran, sprangen von ihren Pferden und begrüßten ihre Söhne, die von Gisas Knechten vor Jahren ins Gebirge getrieben worden waren, und während alle noch durcheinanderschrien und einander in den Armen lagen, stimmte Krautfaß, der wie ein Mastbaum aus dem Getriebe herausragte, mit dröhnender Stimme einen seiner Vierzeiler an:
    Wach auf, schöne Gisa,
    du schläfst schon genug,
    und zeig uns die Beule,
    die Lauscher dir schlug!
    Durch das Gelächter,

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