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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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herabhängen.
    »Hier bringe ich einen Gast, der euch willkommen sein sollte«, sagte der Eselwirt. »Er heißt Lauscher und ist der Enkel des Sanften Flöters.«
    Sobald die beiden Männer hörten, wer der Ankömmling war, erhoben sie sich von ihren Plätzen und verbeugten sich vor Lauscher, obwohl sie beide um mindestens zehn Jahre älter waren als er. »Ein Verwandter des verehrungswürdigen Sanften Flöters ist uns immer willkommen«, sagte der eine von ihnen. »Willst du uns die Gunst erweisen, an unserem Tisch Platz zu nehmen? Mein Name ist Günli, und mein Freund hier heißt Orri. Wir gehören zu Arnis Leuten. Du mußt entschuldigen, wenn Orri wenig spricht. Er soll auf dieser Reise erst eure Sprache lernen.«
    Lauscher war erstaunt, daß die beiden ihn so ehrerbietig begrüßten, doch das erhöhte noch seine Neugier darauf, was es mit diesen zopflosen Beutereitern auf sich hatte. »Ich danke euch für die freundliche Einladung«, sagte er. »Wenn ihr erlaubt, will ich mich gern zu euch setzen.« Der Eselwirt brachte ihm einen Becher, schenkte ihm aus dem Krug von seinem schäumenden Haustrunk ein und zog sich dann einen Hocker heran.
    »Wir sind hocherfreut, dich kennenzulernen«, sagte Günli, nachdem er höflich gewartet hatte, bis Lauscher den ersten Schluck getrunken hatte. »Wir haben nämlich vor, deinem verehrungswürdigen Großvater einen Besuch abzustatten, um ihm unsere Ergebenheit zu bezeugen. Meinst du, daß er geneigt sein wird, uns zu empfangen?«
    Lauscher fand die Redeweise Günlis erstaunlich. Die Absonderlichkeit seiner höflichen Floskeln wurde noch gesteigert durch den fremdartigen Tonfall, aus dem zu merken war, daß dieser Mann sich sonst in einer anderen Sprache zu verständigen pflegte. »Sicher wird sich mein Großvater über euren Besuch freuen«, sagte Lauscher. »Ihr werdet mit ihm sogar in der Sprache der Beutereiter sprechen können, denn er hat lange in euren Zelten gelebt.«
    »Wir sind keine Beutereiter, sondern Arnis Leute«, sagte Günli abweisend. »Aber wir wissen, daß der verehrungswürdige Sanfte Flöter lange Zeit mit Arni – sein Name sei gepriesen! – geritten ist.«
    Nun konnte Lauscher seine Wißbegier nicht mehr zügeln. »Du mußt meinen Irrum verzeihen, der mich euch für Beutereiter halten ließ«, sagte er. »Willst du so freundlich sein, mir zu erzählen, wer Arnis Leute sind?«
    »Du erweist einem unwissenden Händler große Ehre, indem du ihn um eine Belehrung bittest«, sagte Günli. »Es wird jedoch für uns von Vorteil sein, wenn du dem verehrungswürdigen Sanften Flöter über das bescheidene Volk von Arnis Leuten berichten kannst, ehe wir es wagen, vor sein Angesicht zu treten. Aus deinen Worten habe ich entnommen, daß du weißt, wer der unvergleichliche Mann war, den man Arni mit dem Stein nannte.«
    »Mein Großvater und auch andere Leute haben mir von ihm erzählt«, sagte Lauscher. »Er war der Zwillingsbruder eures Khans Hunli.«
    »So ist es«, sagte Günli. »Er war der Bruder Hunlis, den die bösen Geister mit Blindheit geschlagen haben.«
    »Mit Blindheit?« fragte Lauscher. »Hat er das Augenlicht verloren?«
    Günli lächelte. »Es gibt eine schlimmere Blindheit als die der Augen«, sagte er. »Hunli leidet an einer Blindheit der Seele, die ihn daran hindert, die erhabenen Worte Arnis zu begreifen. Er ist nicht mehr unser Khan; denn wir, die wir uns Arnis Leute nennen, haben uns von ihm losgesagt und zum Zeichen dessen, daß wir keine Beutereiter mehr sein wollen, unsere Zöpfe abgeschnitten.«
    »Ich habe davon gehört, daß Arni seinem Bruder oft widersprochen hat«, sagte Lauscher, »aber ich war bisher der Meinung, daß er damit in den Zelten der Beutereiter allein stand.«
    »So war das auch lange Zeit«, sagte Günli. »Keiner konnte verstehen, was Arni – Ehre seinem Namen! – im Sinn hatte, wenn er Gastfreundschaft bei fremden Leuten suchte oder Beutezüge der Horde vereitelte. Manche hielten ihn sogar für verrückt und forderten Hunli auf, ihn aus der Horde auszustoßen.«
    »Warum hat er das nicht getan?« fragte Lauscher.
    »Er konnte es nicht«, sagte Günli, »denn er hatte einen Eid geschworen, nichts gegen seinen Bruder zu unternehmen.«
    »Vor den Augen Urlas«, sagte Lauscher.
    »Auch das weißt du also, du kenntnisreicher Enkel des Verehrungswürdigen«, sagte Günli. »Ja, die große Urla – ihre Weisheit möge überdauern! – hatte ihn mit einem Eid gebunden; denn sie hatte die Gabe der Voraussicht. So begleitete

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